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Timoschenko versprach RückzahlungUkrainer zittern um Sowjet-Sparbücher

Die ukrainische Regierung will ihren Bürgern nun Guthaben aus der Sowjetzeit zurückzahlen. Vor den Sparkassen bilden sich deshalb lange Schlangen.

Hält sie ihr Versprechen nicht ein, erleidet Timoschenko einen Imageschaden. Bild: dpa

KIEW taz Die Filiale der Sparkasse im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist geschlossen. Doch vor dem Eingang warten schon Dutzende Menschen. Es ist kalt an diesem Januarmorgen, aber das scheint den Wartenden nichts auszumachen. Die Schlange ruft Erinnerungen an die Sowjetzeit wach. Auch damals musste man sich in der Nacht anstellen, wenn man etwas haben wollte - zum Beispiel Butter, Käse oder Zigaretten.

Die Schlangen, die sich nun überall in der Ukraine bilden, haben auch mit dem sowjetischen Erbe zu tun. Es geht um die Rückzahlung der Spareinlagen der sowjetischen Sberbank (Sparkasse). Obwohl Russland Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion ist, weigert sich Moskau, die Verbindlichkeiten der Sberbank in den neuen unabhängigen Staaten zu übernehmen. So blieben Millionen Menschen auf ihren Sparbüchern sitzen, die Konten wurden eingefroren.

Seit einigen Jahren versucht Kiew nun, die alten Ersparnisse zurückzuzahlen. Ausgezahlt wurde bislang aber nur häppchenweise. Hin und wieder wurden Rentner von ihren alten Sparbüchern umgerechnet acht Euro ausgezahlt.

In den Schlangen geht es alles andere als friedlich zu. Gelegentlich kommt es zu kleinen Schlägereien. Im ostukrainischen Saporischa trauert man um das erste Opfer: Ein 68-jähriger Rentner starb an Herzversagen nach einigen Stunden Schlangestehen in der frostigen Kälte. Die Sparkasse hat eine Hotline eingerichtet, jede Stunde gehen hier 20.000 Anrufe ein. Etwa 1,7 Millionen Menschen haben sich bisher gemeldet. Alle wollen ihr Geld schnell zurück. Das Vertrauen in die Politik ist am Ende.

Doch jetzt gibt es eine kleine Hoffnung. Die neue Regierungschefin Julia Timoschenko hat im Wahlkampf die Rückzahlung der eingefrorenen Spareinlagen innerhalb von zwei Jahren versprochen. Um wie viel Geld es sich tatsächlich handelt, weiß jedoch niemand. Die alte Regierung von Wiktor Janukowytsch ging noch von einem Betrag von 120 Milliarden Hrywnja aus, etwa 16 Milliarden Euro. Doch das sind nur Schätzungen. Eine Datenbank, in der alle Beträge, Kunden und ihre Erben erfasst wären, existiert nicht.

Nun versucht Timoschenko, ihr Versprechen einzuhalten. Andernfalls wäre der Imageschaden enorm. Doch auch wenn die Schätzungen der alten Regierung richtig sind, hätte Timoschenko im ersten Jahr etwa 60 Milliarden Hrywnja oder rund ein Viertel des Staatshaushaltes für die Rückzahlungen ausgeben müssen. Eingeplant sind zunächst einmal 6 Milliarden. Davon soll nur ein Teil als Bargeld ausgezahlt werden, vorerst kann man maximal 140 Euro abheben.

Trotzdem bedeutet auch diese Finanzspritze einen Spagat, denn die Regierung hat alle Hände voll zu tun, um die Inflation zu bekämpfen. 2007 war die Teuerungsrate unter der Regierung Janukowytsch völlig außer Kontrolle geraten und betrug Ende 2007 knapp 17 Prozent. In einigen Wochen soll eine erste Bilanz gezogen werden. Im Finanzministerium hofft man klammheimlich, dass die tatsächlichen Rückstände geringer sind. Viele Sberbank-Kunden sind mittlerweile gestorben, andere haben ihre Sparbücher verloren oder weggeworfen.

Kritiker werfen Timoschenko Populismus vor; manche Ökonomen warnen, dass die Rückzahlungsaktion die ukrainische Wirtschaft teuer zu stehen komme. Timoschenko weist alle Vorwürfe zurück und will in anderen Bereichen sparen, vor allem aber die Steuerhinterziehung und die Korruption bekämpfen - eine Aufgabe, an der allerdings schon die erste "orange Regierung" 2005 kläglich gescheitert ist.

Politisch kann sich die Regierungschefin schon jetzt über eine erste Dividende freuen und die Präsidentschaftswahlen 2009 anpeilen. "Wenn Julia uns das Geld tatsächlich zurückzahlt, werde ich sie wählen", sagt eine Rentnerin aus Donezk. Früher war es in der ostukrainischen Hochburg der Partei der Regionen von Wiktor Janukowytsch nicht üblich, so etwas laut zu sagen.

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1 Kommentar

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  • R
    Rosenbaum

    Auch wenn viele Kritiker der Timoschenko PR vorwerfen. Danke ich, dass die Julia (wie man sie dort nennt) aus der Ukraine einen starken und Konkurrenten Staat schaffen kann. Sie hat sehr gute Beziehungen und auch sehr viel Zuspruch in anderen Staaten besonders in Amerika.

     

    RB