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Tierfreunde definieren sich gern über ihren Hass auf die eigenen ArtgenossenGesehen. Fotografiert. Umgebracht.

Foto: privat

Tier & Wir

von Heiko Werning

Es klingt ein bisschen nach einer Szene aus einem Monty-Python-Sketch: Zwei Jahrzehnte lang streift ein Zoologe durch abgelegenste Winkel irgendwelcher Südsee-Inseln, immer auf der Suche nach einem geradezu mystischen Vogel, von dem bislang überhaupt nur drei Weibchen gefunden wurden, das letzte Anfang der 1950er. Und dann, an einem schönen Herbsttag im Jahr 2015, sieht er ihn: den Bougainville-Senf-Eisvogel. Auch noch ein Männchen, das kein Wissenschaftler je zuvor zu Gesicht bekam! Das Tier hat einen senffarbenen Kopf und Hals, geziert mit leuchtend blauen Streifen hinter dem Auge und unter dem Schnabel, auch Rücken und Flügel erstrahlen in dunklem Blau. Der Forscher stellt begeistert das erste Foto eines lebenden Exemplars auf Facebook – und dreht ihm anschließend den Hals um. Er ist am Ziel seiner Wünsche.

Nun hat Christopher Filardi vom American Museum of Natural History ein gewisses Kommunikationsproblem. Tausende von wütenden Leserreaktionen trudelten ein bei Medien, die über den Fall berichtet hatten. Darunter die obligatorischen Todesdrohungen und -wünsche, die es in solchen Fällen immer gibt. Tierfreunde definieren sich halt gern über ihren Hass auf die eigenen Artgenossen. Ein seltener Vogel, und dazu noch ein hübscher! Dem man kurz zuvor noch ins beschnabelte Gesicht schauen konnte! Ein Skandal!

Dabei hat Filardi nichts anderes gemacht als das, was Taxonomen im Feld nun einmal tun: Sie sammeln Belege für Forschungseinrichtungen. Seine berühmten historischen Kollegen wie Charles Darwin und Alfred Wallace erledigten das gleich zehntausendfach, früher war es allgemein üblich, als „Serien“ Dutzende bis Hunderte Vögel vom Himmel zu ballern, um Variationsbreiten zu dokumentieren. Und wohl auch, um der Jagdlust nachzugehen.

In einigen Fällen haben Wissenschaftler Arten damit nicht nur gefährdet, sondern sogar ausgerottet. Der Riesenalk, eine Art nordischer Pinguin, ist so ein prominentes Opfer von Ornithologen, wenn zuvor auch die massenhafte Jagd wegen ­Federn, Fett und Fleisch den entscheidenden Beitrag zur Aus­rottung geliefert hatte – die letzten Exemplare aber wanderten ins Museum statt in Artenschutz.

Inzwischen gehen die Biologen allerdings doch etwas sensibler vor. Filardi und sein Team haben zuvor die Populationsstärke und den Lebensraum geschätzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Entnahme des Männchens der Art nicht schaden wird. Vieles spricht dafür, dass sie damit recht haben.

Während der Vogel nun seinen noch frei lebenden Kollegen tatsächlich gute Dienste erweisen kann, denn für die Grundlagenforschung wie auch für eventuell erforderliche Schutzprojekte sind Belegexem­plare nach wie vor unentbehrlich.

Wer sich um die Zukunft der Bougainville-Senf-Eisvögel sorgt, sollte sich eher gegen die auch auf den Salomonen rapide vor­anschreitende Entwaldung stark machen. Sonst könnte es tatsächlich passieren, dass das Männchen aus dem Herbst 2015 einst das letzte Exemplar wird, das davon zeugt, dass es diesen hübschen Vogel wirklich gegeben hat.

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