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Theorie und TechnikBesser grob richtig als exakt falsch

Die Vorstellung, dass der Markt automatisch für Gleichgewicht sorge, klingt nach schöner Harmonie. Das erklärt dann auch den Erfolg dieser Idee.

Wusste, dass die reale Welt nicht exakt ist: John Maynard Keynes. Bild: dpa

Der streitbare Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister feierte unlängst einen ziemlich runden Geburtstag, den sechzigsten, und aus diesem Anlass hatte der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts die Idee, ihm einen öffentlichen Gesprächsabend mit mir zu schenken. Das hat mich natürlich sehr geehrt und ich überlegte kurz, mir eine Schleife um den Kopf zu binden. Ich hab das dann doch bleiben lassen und anstelle dessen beschlossen, mich auf unser Thema vorzubereiten. Wir hatten gewählt: "Die Macht der Ideen in der Ökonomie".

Dass in der Geisteswissenschaft "Ideen" eine wesentliche Rolle spielen, würde ja kaum jemand bestreiten. In den "exakten" oder den Naturwissenschaften ist dies aber eine diskutablere Annahme. Die Ökonomie steht irgendwie in der Mitte. In Methodik und Selbstverständnis sehen sich die Ökonomen den Mathematikern näher als den Philosophen. Dabei ist die Ökonomie natürlich eine Gesellschaftswissenschaft. Selbst dort, wo sie "exakt" ist, ist sie es nur auf Basis einer je konkreten menschlichen Gesellschaft, deren Funktionsbedingungen natürlich auch geändert werden könnten. Das Streben nach persönlichem, materiellem Vorteil mag es schon geben, aber natürlich nicht in einem solch exakten Sinn wie die Schwerkraft oder den Energieerhaltungssatz.

Auf banaler Ebene ist es natürlich nichts Neues, dass in der Ökonomie Ideen eine Rolle spielen. Der durchschnittliche Linke Aktivist würde den "Neoliberalismus" als Ideologie charakterisieren, die sich finstere Gesellen ausgedacht haben, um die Armen ärmer und die Reichen reicher zu machen. Das ist zwar auch nicht ganz falsch, erklärt aber noch nicht die intellektuelle Anziehungskraft bestimmter ökonomischer Theorien.

John Maynard Keynes, der große britische Wirtschaftstheoretiker, hat sich explizit mit dieser Frage auseinandergesetzt - dass Menschen, die sich selbst ostentativ als Praktiker sehen (im Unterschied von realitätsfremden Weltverbesserern), von Ideen, Bildern, Narrativen gefangen sind. "Die Ideen von Ökonomen und politischen Philosophen", schrieb er in den berühmten "Concluding Notes" seiner "General Theory", hätten "mehr Macht, als man üblicherweise annimmt - egal, ob sie richtig oder falsch sind." Tatsächlich, schrieb er, "wird die Welt kaum von etwas anderem regiert".

An anderer Stelle schrieb er über die Laisser-faire-Doktrin, sie sei "etwas Kurioses und Rätselhaftes. Diese Doktrin muss dadurch entstanden sein, dass sie eine Menge enthielt, was der Umwelt, auf die sie projiziert wurde, nur zu willkommen war. Dass sie zu Schlüssen kam, die der einfache Laie nie erwartet hätte, erhöhte vermutlich ihr intellektuelles Prestige. Dass ihre Lehre, in die Praxis übersetzt, spartanisch und oft widerwärtig war, verlieh ihr einen Anstrich von Tugend. Dass sich auf ihr ein gewaltiger, starrer, logischer Überbau errichten ließ, verlieh ihr Schönheit."

Ohnehin steht hinter jeder Theorie ein Menschenbild. Im Grunde kann man jede Theorie - ökonomisch, politisch - danach unterscheiden, ob sie den Menschen von Grund auf als gut, aber durch gesellschaftliche Mechanismen beschädigt ansieht, oder von im Grund auf schlecht und von gesellschaftlichen Regulativen gezähmt. Dies sind die groben Dichotomien, dazwischen gibt es hunderte Spielarten. Auf die neoliberale Ökonomie umgelegt: Die Menschen sind von Natur aus auf ihren materiellen Eigennutz aus. Aber dieses Streben führe auf mirakulöse Weise zum Wohlergehen aller, während die Beschränkung dieses Triebs negative Folgen für alle habe. Im Grunde seien die Menschen in allen Handlungen auf Nutzenmaximierung aus, vor allem aber im Marktgeschehen: da seien sie Homo oeconomicus, also rein materiell orientiert.

Eine solche Sicht hat natürlich eine spezifische Attraktion in der Ökonomie. Diese materielle Orientierung lässt sich vergleichsweise leicht in Formeln gießen, würde dagegen anerkannt, dass Altruismus, Mitgefühl, Verantwortung für andere oder ähnliche ethische Kategorien ins Kalkül hineinspielen, gäbs bald keine Kurven und keine Mathematik mehr in der Wirtschaftswissenschaft. Auch die Vorstellung, dass der Markt automatisch für "Gleichgewicht" sorge, ist betörend: Das klingt nach Harmonie, und Harmonie ist ja was Schönes.

Die Schönheit dieses Konstrukts hat etwas Betörendes, und dies erklärt auch den Erfolg der Laisser-faire-Doktrin. Keynes dagegen wusste, dass die reale Welt nicht exakt ist, und hielt seine Theorie vage, weil er auch wusste, dass Gefühle, Massenhysterien und Herdentrieb ins Wirtschaftsleben hineinspielen. Deswegen vertrat er die Ansicht, es sei besser, grob richtig zu liegen als exakt falsch.

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2 Kommentare

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  • HK
    Hans-Jürgen Kapust

    Dear Mickael Hayes,

    I continue in German;

    eine sogar naturwissenschaftliche Erklärung für den Altruismus gibt es. Es ist, ohne dass damit das Darwinsche Selektionsprinzip des "survival of the fittest" unwirksam wird, die genaue Umkehrung: das soziale Prinzip: "survival of the unfitted". Genau dies, zugleich mit der Erfindung von Gesellschaft macht die Spezies homo homo erst zum Menschen.

    Als Texte für diese Hypothese empfehle ich: "Entwicklung und Sozialisation der Primaten" von Hartmuth Schneider, sowie Oskar Negt und Alexander Kluge: "Geschichte und Eigensinn".

    2.

    Adam Smith hatte einen ebenfalls weltberühmten Ökonomen und Kritiker, Karl Marx. Smith und auch Ricardo beginnen ihre Ökonomie stets mit dem einzelnen und vereinzelten Jäger oder Fischer, so als sei das vereinzelte Individuum der naturgemäße Ausgangspunkt wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhaltens. Demgegenüber betont Marx gerade, dass der Einzelne erst in einer entwickelten Gesellschaft als einzelner lebensfähig ist, weil er in sich bereits die Totalität der gesellschaftlichen Kräfte enthält. Es ist also diese Robinsonade ein "historisches Resultat", nicht "Ausgangspunkt" der Geschichte. "Erst im 18. Jahrhundert, in der bürgerlichen Gesellschaft, treten die verschiedenen Formen des gesellschaftlichen Zusammenhangs dem Einzelnen als bloßes Mittel für seine Privatzwecke entgegen, als äusserliche Notwendikeit. Aber die Epoche, die diesen Standpunkt erzeugt, den des vereinzelten Einzelnen, ist gerade die der bisher entwickelsten gesellschaftlichen Verhältnisse." K.Marx, "Grundrisse der Politik der politischen Ökonomie"

    Der "freie Markt" ebenso eine Illusion und Täuschung, die die kapitalistische Zwangstauschgesellschaft verdeckt.

     

    I think, you will not agree this answer, but don´t worry

     

    best wishes too

    Hajü

  • MH
    Michael Hayes

    Let us begin with Adam Smith and the most famous quote in economics: "It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to them of our own necessities but of their advantages. "

    Most people are altruistic some of the time. A few people are altruistic almost all the time. However most people are egoistic most of the time. On that basis, we can construct a dependable, functioning economy.

    Thus I would prefer a baker in my village who needs to pay off his BMW, not one who loves mankind. Or why doesn't the TAZ give away its newspapers in return for voluntary contributions?

    Altruism is something which must be explained. Egoism has an explanation: Darwin.

     

    Reply in German if you want to reply at all.

     

    Best wishes,

    Michael Hayes