kucken se ma: auf bremens leinwand : „The Navigators“ von Ken Loach
Wenn es ein Lehrbeispiel dafür gibt, wie die neue Ökonomie der „Umstrukturierungen“ und „Ich-AGs ins Chaos führen kann, dann ist es die Privatisierung der britischen Eisenbahn in den Jahren 95 und 96 durch die Tory-Regierung. Wenn inzwischen dort Züge nur wie bei uns unpünktlich sind, können sich die Fahrgäste noch glücklich schätzen.
Oft fallen sie tagelang ganz aus, oder sie verunglücken mit einer fatalen Regelmäßigkeit und erschreckenden Zahl von Todesopfern. Um die Mechanismen zu verstehen, die der Vernichtung einer einst dem britischen Empire würdigen Infrastruktur zu Grunde liegen, tut ein Lehrstück dringend not, und dieses hat der britische Filmemacher Ken Loach nun mit „The Navigators“ geliefert.
Zuerst frotzeln die Streckenarbeiter noch in dem kleinen Depot der britischen Eisenbahn in South Yorkshire, wenn ihnen einer der Vorgesetzten erklärt, was sich alles für sie ändern wird, weil sie zukünftig nicht mehr für „British Rail“, sondern für die „East Midland Infrastrukture“ arbeiten werden. Das Team ist gut eingespielt und weiß genau, wie es die befahrenen Strecken sichern muss, um Unfälle zu vermeiden.
“Die Zahl der Todesfälle am Arbeitsplatz sollte auf zwei pro Jahr reduziert werden“, liest der sichtlich nervöse leitende Angestellte den Arbeitern vor. “Freiwillige vor!“ und „Das schaffen wir nicht, wir hatten seit 18 Monaten keinen Unfall!“ wird darauf geantwortet. Doch dann wird das alte, funktionierende System radikal demontiert und die Streckenarbeiter müssen hilflos dabei zusehen, wie ihre professionellen Fähigkeiten, ihre Lebensplanung, soziale Sicherheit und schließlich auch Solidarität untereinander auf der Strecke bleiben. Die einen werden mit einer nur auf den ersten Blick hohen Abfindung zur Kündigung verlockt, die anderen müssen erleben, wie die Arbeitsbedingungen immer schlimmer werden. Drei Streckenarbeiter werden von einer Agentur eingestellt, für die sie die gleiche Arbeit ohne Krankengeld, Urlaubsgeld, Arbeitskleidungs- und Fahrkostenzuschuss machen müssen.
Und weil die Agenturen hier um die einzelnen Aufträge konkurrieren, wird an der Sicherheit gespart. Wer sich weigert, mal eben ohne jede Absicherung eine schwere Holzbohle über ein befahrendes Gleis zu wuchten, braucht am nächsten Tag gar nicht wiederzukommen. Der Schlusspunkt, auf den die Geschichte hinläuft, ist so unausweichlich, dass Loach ihn gar nicht blutig ausmalen muss.
Statt dessen zeichnet er hier, wie man es von ihm kennt, ein proletarisches Gruppenporträt mit sympathischen Protagonisten, die einen rüden, englischen Humor haben und denen die Kamera auch in kurzen, genau auf den Punkt gebrachten Szenen in ihr Privatleben folgt, um zu zeigen, welche Konsequenzen die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze dort haben. Loach ist wie immer parteiisch, doch während er in einigen seiner vorherigen Filme arg ins Predigen verfiel oder seine Helden zu romantisch-proletarischen Helden verklärte (so etwa in „Land and Freedom“ oder „Carla‘s Song“), ist er hier sehr genau und analytisch. Dies liegt wohl auch daran, dass mit dem Eisenbahner und Gewerkschaftler Rob Dawber ein Kenner des Metiers und der Umstände das Drehbuch geschrieben hat.
Und Loach beweist in „The Navigators“ auch wieder, wie gut der ehemalige Dokumentarfilmer Laiendarsteller führen kann. Fast alle Rollen sind mit ehemaligen Gleisarbeitern aus der Gegend um Sheffield besetzt, und da stimmt dann einfach jede Handbewegung und jeder Ton. Um so wichtiger, dass im Kino 46 die Originalfassung gezeigt wird. Um so wichtiger aber auch die Untertitel, denn mit solchen müssen die Filme von Ken Loach sogar in den USA gezeigt werden, damit dort ihr „heavy accent“ verstanden werden kann.
Geht es aber bei uns grundsätzlich anders zu ? Loach zieht in einem Interview Parallelen zu der ICE-Katastrophe vor einigen Jahren: „Warum glauben Sie, hat der zuständige Techniker das Rad nicht ausreichend überprüft? Bestimmt nicht, weil er faul war. Aber auch da stehen nicht die Manager auf der Anklagebank, die die Sicherheit der Rentabilität geopfert haben“.
Wilfried Hippen
Läuft im Kino 46 (OmU) von Donnerstag bis Samstag um 20.30 Uhr, von Sonntag bis Dienstag um 18.00 Uhr