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■ Telefongespräche, Funkverkehr und Internet-Nachrichten. Vor dem Bundesnachrichtendienst (BND) ist nichts sicher. Täglich zeichen seine Abhöranlagen weltweit mehrere hunderttausend Telefongespräche aufDer BND hört alles

Im Äther warten die Lauscher. Zwischen Husum und Bad Aibling, in rund fünfzig Abhörstationen über die Bundesrepublik verstreut, sind sie stationiert: die Aufklärer des Bundesnachrichtendienstes (BND). Riesige Antennenanlagen sind aufgebaut, die High-Tech wird auf dem letzten technologischen Stand gehalten, die Einrichtungen firmieren meist unter dem falschem Namen „Bundesstelle für Fernmeldestatistik“.

Der Nachrichtendienst hält eine Art elektronischen Kescher in die weltweiten Telekommunikationsstränge: er sammelt Daten und das in einem atemberaubendem Ausmaß. Allein bis zum Ende des Kalten Krieges beförderte der BND die Datensätze von mindestens sechs Millionen Menschen in die Speicher seiner Großrechneranlagen. Bei jeder zweiten Speicherung, behaupten die wenigen, die den Geheimdienstapparat kennen, handelt es sich um die eines Bundesbürger. Und das, obwohl es sich beim BND eigentlich um einem Auslandsaufklärungsdienst handelt.

Die Zahl der Speicherungen wächst und wächst: Mit der Verabschiedung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes Ende 1994 wurden die Befugnisse des BND ausgeweitet, und das findet seinen Niederschlag – auf den Festplatten der Geheimen mit Sitz in Pullach bei München.

Der Dreh- und Angelpunkt der neuen Befugnisse heißt im Amtsdeutsch „verdachtslose Rasterfahndung“. Der Geheimdienst wurde mit Inkrafttreten des Verbrechensbekämpfungsgesetzes erstmals offiziell ermächtigt, den internationalen „nicht leitungsgebundenen Fernmeldeverkehr“ auch ohne konkrete Verdachtsmomente zu überwachen und dabei anfallende „zufällige“ Erkenntnisse über Bundesbürger den Strafverfolgungsbehörden zukommen zu lassen.

Mit der neuen gesetzlichen Grundlage wurde allerdings eine Praxis sanktioniert, die der Bundesnachrichtendienst als verlängerter Arm des Bonner Kanzleramtes ohnehin schon seit Jahr und Tag versieht: Das Sammeln von Informationen über mögliche terroristische Anschläge auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, über die internationale Verbreitung von Nuklearmaterial, über den Handel mit Kriegswaffen und Drogen, auch über die weltweite illegale Geldwäsche. Der klassische Auftrag des Nachrichtendienstes, die Abwehr eines „bewaffneten Angriffs“ gegen die Bundesrepublik, ist schon seit Jahren in den Hintergrund getreten.

Der Bundesnachrichtendienst überwacht aber nicht nur Telefongespräche und den Funkverkehr, sondern ebenso die internationalen Datennetze. Das berichtete vor kurzem die Computerzeitschrift Chip. Über Scannerprogramme, die immer dann in Bewegung gesetzt werden, wenn ein bestimmtes Schlüsselwort fällt, sollen beinahe hundert Prozent der über das Ausland laufenden Internet-Kommunikation beschnüffelt werden.

Die Aufklärer beschränken sich dem Bericht zufolge auch nicht auf konventionelle Kommunikationsmittel wie Telex und Fax. Längst hätten sie ihre Lauscher auch in Online-Medien wie Internet und Compuserve. Für Andreas Pfitzmann, Kryptographie-Experte am Institut für Theoretische Informatik der TU Dresden, steht fest, daß beinahe hundert Prozent der Auslandsgespräche per Telefon und ein ähnlich hoher Prozentsatz der Internet-Mails von den Geheimdienstlern kontrolliert wird. Auch gängige Komprimierungssoftware, die zunehmend beim elektronischen Informationstransfer eingesetzt wird, sei für den Pullacher Dienst kein Überwachungshindernis.

Selbst verschlüsselte Nachrichten will der BND erfassen. Zuständig dafür ist eine „Abteilung 6“ – ein Referat, das in großem Stil hacking betreibt. Das berichtet Erich Schmidt-Eenboom, Verfasser mehrerer Standardwerke über den BND. Das dafür nötige Know-how vermittle der Nachrichtendienst selbst seinen Mitarbeitern. Mittlerweile habe sich in diesem Bereich schon ein eigenes „Berufsbild“ etabliert.

Schmidt-Eenboom wirft dem BND weiter vor, flächendeckend „illegale Telefonabhöraktionen“ zu betreiben. „Nach dem Zusammenbruch im Osten wendet er sich verstärkt der Schnüffelei im Inland zu. Die Pullacher haben nach der Wiedervereinigung ihre Kapazitäten nicht etwa reduziert, sondern stark ausgebaut und modernisiert.“

Auf Anfrage wollte der Bundesnachrichtendienst die Vorwürfe nicht kommentieren. Schmidt- Eenboom weiter: „Der BND versucht bei interessanten Gesprächen die Telefonnummern der Teilnehmer zu ermitteln und gibt diese dann in sein elektronisches Suchsystem, so daß alle weiteren Gespräche künftig automatisch mitgeschnitten werden. Der Dienst kann sogar die Stimmprofile abgehörter Personen in seinen Rechnern speichern und so umsetzen, daß ein Telefonteilnehmer erfaßt wird, selbst wenn er von fremden Apparaten aus telefoniert.

Verschiedene Rechtsexperten halten die Lauschpraxis des Bundesnachrichtendienstes für verfassungswidrig. Der Hannoveraner Rechtsprofessor Jürgen Seiffert urteilt: „Das, was unter den Voraussetzungen von Anonymität als strategische Kontrolle entwickelt wurde, soll zu einem Instrument ausgebaut werden, um global und umfassend Fernmeldekommunikation zu kontrollieren. Das vom BND und von der Bundesregierung zugegebene Anzapfen des Fernmeldeverkehrs im Äther über dem Territorium der Bundesrepublik ist ein Verfassungsbruch. Dieser wiegt umso schwerer, als er mit ausdrücklicher Billigung der Bundesregierung begangen wird.“

Gewarnt hatte auch Eggert Schwan, Professor an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin. Im Vorfeld der Verabschiedung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes ermahnte er die Politiker: „Nageln Sie Türen und Fenster der Geheimdienste ganz fest zu. So fest, daß der Ungeist des Totalitarismus, der sich in deren Räumen eingenistet hat, nie wieder ausbrechen kann. Tun Sie das ganz schnell. Bevor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Ihnen dies abnehmen kann.“

Seine Warnung verhallte ungehört. Die Bonner Regierungskoalition verabschiedete am 11. September des vergangenen Jahres den umstrittenen Gesetzesentwurf. In diesem wurde festgeschrieben, daß der Bundesnachrichtendienst immer dann die von ihm gesammelten Informationen weitergeben dürfe, wenn ein Verdacht auf eine Straftat vorliege.

Diese Regelung ging selbst dem Karlsruher Verfassungsgericht zu weit, im Juli diesen Jahres kassierte es die neue Regelung. Das Gericht hob per Beschluß die Übermittlungsschwelle an: Personengebundene Daten dürfen danach nur dann verwendet und an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden, „wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß jemand (...) Straftaten plant, begeht oder begangen hat.“ An der Praxis der Fernmeldeüberwachung des Bundesnachrichtendiensts ändert der Karlsruher Spruch freilich gar nichts.

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