■ Teddy Kollek, Jerusalems Ex-Bürgermeister, im Gespräch: „Jerusalem bleibt unser!“
taz: Sie wurden in Ihrer langjährigen Funktion als Bürgermeister Jerusalems besonders im Ausland immer als Figur der Versöhnung betrachtet. Was sagen Sie heute zu Ihrer Stadt? Was spricht gegen Jerusalem als Doppelhauptstadt – für Israel und für Palästina?
Teddy Kollek: Das würde sofort eine Teilung der Stadt bedeuten. Es gäbe zwei Gesetze, zwei Polizeien, eine Zollinie – so was existiert doch auf der ganzen Welt nicht.
Wieso kann man das Projekt nicht wagen? Zumal Jerusalem auch heute meiner Wahrnehmung nach eine geteilte Stadt ist. Es gibt zwei Busgesellschaften, zwei Schulsysteme, zwei Sprachen mit all ihren Zeitungen und Radiosendungen.
Warum soll man es wagen? Wenn man es durchdenkt, dann kann es nur scheitern. Außerdem gibt es keine Rechtfertigung dafür.
Doch, jene, daß es sich um besetztes, sogar annektiertes Land handelt.
Die Araber haben hier nie ihre Hauptstadt errichtet. Dafür hatten sie 1.500 Jahre Zeit. Wieso haben sie es nicht gemacht? Dafür gibt es einige gute Gründe. Kein islamisches Land hat seine Regierung je in eine heilige Stadt gesetzt. Nicht der Iran, nicht Saudi-Arabien, nicht Jordanien. Wir haben Jerusalem vor 3.000 Jahren zu unserer Hauptstadt gemacht und haben – gedanklich – niemals davon Abstand genommen. Alle Synagogen auf der Welt sind nach Jerusalem gewandt. Außerdem sind wir weitergegangen als jedes andere Land. Wir haben ihnen den Tempelberg gelassen. Und das, obwohl wir, als wir zurückkamen, 52 zerstörte oder umgewidmete Synagogen vorgefunden haben.
Sprechen wir über die Gegenwart. Da stellt sich die Situation anders dar. Zum einen sind die Grenzen von 1967 ganz klar, es ist deutlich, daß es sich um von Israel annektiertes Gebiet handelt. Hinzu kommt, daß die Palästinenser unmißverständlich sagen, daß sie Ost-Jerusalem zu ihrer Hauptstadt machen wollen.
Die Antwort ist ganz einfach: Nein, ich habe nicht mehr Argumente, als ich Ihnen schon genannt habe.
Wie interpretieren Sie dann das Friedensabkommen zwischen Arafat und Rabin, wonach über Jerusalem in zwei Jahren die Verhandlungen beginnen sollen?
Wenn über Jerusalem als Hauptstadt für die Palästinenser verhandelt werden wird, wird es keinen Frieden geben. Wir werden nicht auf Jerusalem verzichten.
Können Sie sich überhaupt eine Zweistaatenlösung vorstellen?
Ich glaube, daß es einen palästinensischen Staat geben wird, auch wenn man immer behauptet, daß es nur um Autonomie gehe. Ich glaube aber auch, daß wir nach all den Angriffen, die wir erlitten, das Recht haben, ein paar Jahre zu warten, um zu sehen, ob die Araber staatsfähig sind. Aber ich glaube nicht, daß wir am Ende dagegen sein können.
Wenn nach Ihrer Auffassung Ost-Jerusalem nicht zurückgegeben werden kann, wie soll dann eine Lösung, ein Kompromiß für Jerusalem aussehen?
Ich kann mir vorstellen, daß man viele Einrichtungen teilt. Zum Beispiel, daß der Jerusalemer Flughafen in gemeinsamen Besitz kommt. Wir unsererseits können das tun. Die Araber sind dazu noch nicht reif. Das klingt sehr schlimm von oben herunter, aber das ist Tatsache. Es kann alle möglichen Vereinbarungen geben, um das Leben etwas einfacher zu machen innerhalb Jerusalems, der Hauptstadt Israels. Schon, was wir in der Vergangenheit taten, ist sehr viel. Wir haben den Arabern ihre jordanischen Pässe belassen und die Schulen laufen nach jordanischem Curriculum. Sie dürfen überall in der Stadt arbeiten.
Denken Sie denn, daß Jerusalem weiterhin relativ befriedet sein wird, wenn man sich des Themas nicht wirklich annimmt?
Ja, mehr noch. Warum nicht?
In meiner Wahrnehmung ist die Trennung zwischen Ost und West sehr massiv und sehr weitgehend. Kein Israeli, den ich kenne, würde je seinen Fuß in den Ostteil der Stadt setzen. Nicht nur aus Angst, sondern vor allem, um damit zu demonstrieren, daß man die Annexion Ost-Jerusalems nicht akzeptiert. Ich denke, daß die Spannungen zunehmen werden, wenn es jetzt, wo es um den Versuch eines Friedens geht, nicht die Bereitschaft gibt, auch über Jerusalem zu verhandeln.
Nach Hunderten von Jahren ist so etwas wie in Bosnien passiert. Man kann nicht voraussehen, was geschehen wird. Aber wenn man dazu kommen wird, Frieden zu haben, dann werden die Araber auch in den Stadtrat kommen und werden für ihre Angelegenheiten eintreten. Dann würden viele der Dinge geschehen, die früher nicht gemacht worden sind.
Woher dieser Optimismus? Die Palästinenser haben die letzten 27 Jahre die Wahlen boykottiert, warum sollte sich das ändern?
Wenn es Frieden mit den Arabern gibt, glaube ich, wird dies möglich sein. Die Einnahmen der Stadt könnten dann gerade auch den Arabern zugute kommen. Bis heute fließen die Zuschüsse meist in Synagogen und andere Projekte – das könnte sich dann ändern.
Ihre Politik bestand darin, die bestehenden palästinensischen Gebiete nicht mit israelischer Bevölkerung zu durchmischen und umgekehrt. Wie kommt es dann, daß in dem moslemischen Teil der Altstadt bereits jetzt viele Häuser von vor allem gläubigen Juden aufgekauft wurden?
Die Leute, die dort kaufen, tun das, um Araber zu vertreiben. Aber dagegen kann man nichts tun. Das ist der privatwirtschaftliche Bereich, wo wir unsere Nase nicht reinstecken können.
Diese Ankäufe sollen aber oft genug mit der Unterstützung staatlicher Gelder vonstatten gegangen sein.
Ja, ja, ja. Unter der Likud-Regierung hat das Bauministerium diesen Leuten materiell geholfen. Zum Beispiel einem Hospiz in der Altstadt. Irgendein Philanthrop gab die Hälfte des Geldes, die andere kam vom Bauministerium. Das haben die zunächst nicht zugegeben. Bei anderen Beispielen haben wir Stadtgelder ausgegeben, um vor Gericht zu beweisen, daß Häuser illegal aufgekauft wurden. Zum Teil wurden Häuser dann zurückgegeben. Die Likud-Regierung verfolgte die Politik, arabische Häuser zu nehmen. Zum Beispiel Ariel Sharon, der Bauminister unter der Likud-Regierung, der sich als einer der ersten ein Haus in der moslemischen Altstadt gekauft hat. Das war seine private Initiative, dagegen kann man nichts machen.
Wie aber kommt es, daß das Privathaus von Sharon von israelischem Militär geschützt wird?
Weil die Polizei und das Militär zum Schutz der Bevölkerung da sind.
Aber Sharon hat niemals in dem Haus gewohnt.
Seien Sie nicht kleinlich. Natürlich ist das nichts als eine Provokation. Wichtig ist, daß er dort eingezogen ist und das hätte er nicht tun sollen. Ob ein paar Polizisten das bewachen oder nicht, ist ganz unwichtig. Interview: Julia Albrecht
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