Tatort in der ARD: Hauptkommissarin mit rosaroter Brille
In dem Tatort "Königskinder" müssen die Kommissare Lürsen und Stedefreund einen Mordfall in Bremenhaven aufklären. (So. 20.15 Uhr, ARD)
Die Liebe ist kein guter Ratgeber, wenn es darum geht, Gewaltverbrechen aufzuklären. Oft wird kritisiert, dass die Ermittlerinnen im deutschen Fernsehen alle so sozial entwurzelt und amourös unterversorgt seien. Aber was für die Figuren zweifellos beklagenswert erscheinen mag, ist für die Geschichten nun mal meist ein Glücksfall. Trauer, Wut, Verzweiflung sind offensichtlich ein guter Antrieb, um sich durch die unappetitlichen Zonen der Verbrechensaufklärung zu kämpfen.
Wie verheerend es für die Krimihandlung sein kann, wenn eine Kommissarin auf Wolke Sieben über Blutlachen und verdächtiges Terrain schwebt, zeigt sich nun noch einmal drastisch in der neuesten Folge des Bremer „Tatort“: Nachdem Inga Lürsen (Sabine Postel) über die Leine ihres Hundes gestolpert, die Treppen des Polizeireviers runtergepurzelt und schließlich auf den Kopf geschlagen ist, erscheint sie wie ausgewechselt. Und nach dem Besuch des attraktiven Arztes, der dann auch gleich Flirtattacken auf sie startet, sieht sie die Welt nur noch durch eine rosarote Brille.
Damit hat sie aber eine komplett andere Perspektive auf die Welt als ihr Kollege Stedefreund (Oliver Mommsen), der beim jüngsten Mordfall auf die Leiche einer Frau stößt, mit der er vor zehn Jahren mal liiert war. Die Ex hatte sich schon immer nach einem Leben in Wohlstand gesehnt – und es schließlich auch bei einem reichen Unternehmer aus Bremehaven (verdächtig freundlich: Oliver Stokowski) gefunden. Doch bei einem Raubüberfall auf den heimischen Luxusbungalow kam sie schließlich ums Leben.
Wie unpassend: Während Stedefreund nun immer wieder heimlich in Tränen ausbricht, seufzt Lürsen unentwegt ihr neues Glück in die Welt hinaus. Andauernd schnuppert sie entzückt an Orangen oder hält ihr Gesicht beglückt in die Sonne. Und so wenig wie die Kombination aus trauerndem Cop und verliebtem Cop passt hier auch alles andere zusammen. Mal entwischt ein betrunkener Penner zwei durchtrainierten Polizisten, ein anderes Mal macht Stedefreund eine Privatrazzia in einem Stripclub, der aussieht wie eine Studentenkneipe.
Nein, „Königskinder“ ist alles andere als große Krimikunst. Dabei gehört Regisseur und Autor Thorsten Näter, der für Radio Bremen ja schon die in jedem Sinne Genre-sprengenden „Tatort“-Episoden „Schatten“ und „Requiem“ gedreht hat, eigentlich zu den immer inspirierten Vertretern seine Fachs. Doch ach, Inga Lürsens traniger Optimismus nimmt seinem Täterrätsel einfach den nötigen Druck: Love killed crime show star.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben