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Täterberatung"Wollen Sie die nächsten zwanzig Jahre Stalker sein?"

Stop-Stalking war die erste Beratungsstelle für Stalker. Wolf Ortiz-Müller berät hier Menschen, die ihre ehemaligen Partner verfolgen.

Opfer und Täter brauchen Beratung, sagt Wolf Ortiz-Müller. Bild: apd dapd, Thomas Kienzle
Interview von Manuela Heim

Herr Ortiz-Müller, auf Ihrer Internetseite steht, Sie beraten "Menschen, die stalken". Das Wort "Täter" wollten Sie wohl nicht verwenden?

Wolf Ortiz-Müller: Die Formulierung soll zwei Dinge unterstreichen: Erstens gibt es Männer und Frauen, die stalken. Und zweitens ist kein Mensch nur Stalker. Ein Mensch, der stalkt, kann in anderen Bereichen sehr nett sein.

Das klingt, als hätten Sie Mitleid mit den Tätern.

Mitleid habe ich mit den Opfern. Bei den Tätern würde ich es Empathie nennen. Die ist auch absolut notwendig für die Beratung. Wie kann ich denn vom Täter verlangen, dass er sich in sein Opfer hineinfühlt, wenn ich mich nicht ein Stück weit in ihn hineinfühlen kann? Es herrscht ja die weitläufige Meinung, Stalker seien Monster. Ich habe mit weit mehr als 100 Stalkern gesprochen, und da gab es vielleicht zwei, bei denen ich gar nicht mehr mitgehen konnte.

Warum?

Weil sie so gnadenlos waren. Nach dem Motto: "Ich will, dass die bis zum Ende ihres Lebens leidet". Stalker können aber auch Menschen sein, die nach einer unglücklich beendeten Beziehung nicht das Selbstbewusstsein haben zu sagen: "Wenn sie mich nicht will, suche ich mir eben eine andere".

Warum haben Sie sich entschieden, Stalker zu beraten?

Es ist für einen Psychologen ungeheuer spannend, einen Zugang zu diesen Menschen zu finden. Sie erzählen in der Regel zum ersten Mal ihre Geschichte, denken zum ersten Mal darüber nach. Die meisten Täter gehen mit ihren Stalkingaktivitäten ja nicht hausieren. Da gibt es eine große Scham.

Stalking in Berlin

Zahlen: 2010 erfasste die Berliner Polizei 2.153 Stalking-Fälle. Fast 80 Prozent der Tatverdächtigen waren Männer, in 80 Prozent der Fälle kannten sie ihr Opfer.

Strafen: Seit 2007 wird "Nachstellung" laut Paragraph 238 des Strafgesetzbuchs mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet, wenn der Täter einen anderen in seiner Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt. Beim Familiengericht können Stalkingopfer außerdem ein Kontakt- bzw. Näherungsverbot erwirken.

Beratung: Stop-Stalking wurde 2008 als Deutschlands erste Täterberatungsstelle gegründet. 2011 ließen sich knapp 100 Stalker beraten. Nachdem die Stalking Opferhilfe Berlin im Dezember 2011 die Arbeit eingestellt hat, können sich Stalkingopfer noch an das Frieda Frauenzentrum in Friedrichshain wenden (frieda-frauenzentrum.de) oder an allgemeine Beratungsstellen wie den Weißen Ring (bundesweites Opfer-Telefon 116 006) wenden. p { margin-bottom: 0.21cm; }

Der Interviewpartner

Wolf Ortiz-Müller 50, leitet die Beratungsstelle "Stop-Stalking" in Steglitz-Zehlendorf und berät dort seit 2008 Stalker. Davor war der Psychologe beim Berliner Krisendienst.

Sind Stalker Verlierertypen?

In Sachen Beziehungen schon. Viele haben wenig erfolgreiche oder gar keine Beziehungen geführt. Häufig ist Stalking auch Teil einer generellen Krise: Je weniger andere Dinge ein Mensch hat, die ihm Erfolg und Glück bereiten, desto mehr Zeit hat er für das Stalking. Aber es gibt auch den erfolgreichen Geschäftsmann mit Büro in der Friedrichstraße, der stalkt.

An welchem Punkt kommen die Stalker zu Ihnen?

Stalking ist ein zunehmend beliebtes Label. Deshalb bekommen es manche schon sehr schnell verpasst, melden sich dann bei uns und fragen, ob das wirklich Stalking ist, was sie da machen. Andere kommen erst nach drei oder mehr Jahren. Die Polizei empfiehlt Stalkern, die von Betroffenen angezeigt wurden, zu uns zu kommen. Außerdem schicken zunehmend auch Gerichte und Amtsanwaltschaft Stalker zur Beratung.

Anstatt sie ins Gefängnis zu stecken?

Meist geht es darum, dass das Verfahren eingestellt wird, wenn sich die Täter von uns beraten lassen. Damit Stalker eine Haftstrafe bekommen, muss schon sehr viel passiert sein. Aber wir hatten letztes Jahr erstmals zwei Täter, die die Beratung als Bewährungsauflage bekommen haben. Und wir haben zum ersten Mal zwei inhaftierte Stalker in der Therapie. Das mag wenig klingen, aber für uns ist es bedeutend, dass die Strafverfolgungsbehörden mit uns zusammenarbeiten. So decken wir ein breites Spektrum ab: Von den "Selbstmeldern", die freiwillig kommen, bis zum verurteilten "Knacki".

Lassen sich denn Stalker auf eine Beratung ein, die ihnen unter Strafandrohung aufgebrummt wurde?

Erstaunlicherweise klappt das recht gut. Am Anfang sind sie oft sehr skeptisch, aber über zwei drei Gespräche merken sie: Ach, da bekomme ich doch etwas mit.

Also hat die Kriminalisierung aus Ihrer Perspektive geholfen?

Ich finde es gut, dass Stalking vom Gesetzgeber sanktioniert wird. Jetzt ist klar: Da droht Strafverfolgung. Das kann der Täter in Kauf nehmen oder er kann sich beraten lassen. Bei dem einen oder anderen hilft dieser Druck.

Ist den Stalkern bewusst, wie sehr sie ihre Opfer quälen? Opfer, die durch die Wohnung kriechen, weil sie Angst haben, gesehen zu werden. Die jeder Lebensqualität beraubt werden, an Selbstmord denken?

Zum Teil. Es ist natürlich auch unsere Aufgabe, ihnen das bewusst zu machen. Aber das hilft nur bei den Stalkern, die wieder zurück wollen in die Beziehung. Bei den Rachsüchtigen hilft das nicht: Die freuen sich ja, wenn es den Opfern schlecht geht.

Was machen Sie bei denen?

Ich stelle Fragen: Ist ihnen klar, welche Strafen dann drohen? Welche Kränkungen reichen so tief, dass sie glauben, die andere Person müsse dafür leiden? Wollen sie die nächsten zwanzig Jahre Stalker bleiben? Ist das eine Perspektive? Es gibt keinen Stalker, dem es gut damit geht, Stalker zu sein.

Kann jeder zum Stalker werden?

Die meisten sind vorbelastet. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Stalker häufig negative Bindungserfahrungen in der Kindheit gesammelt haben. Verlustängste, die sozusagen in der Erwachsenenbeziehung wiederaufflammen.

Opferberater wehren sich dagegen, Stalking als Krankheit abzutun und damit die Täter in gewisser Weise zum Opfer zu machen. Bei Ihnen klingt es aber ganz so.

Nein. Stalking ist eine Straftat und keine Krankheit und hat ganz bewusst keinen Eingang in irgendein psychologisches Diagnostikhandbuch gefunden. Mal abgesehen von denen, die Psychosen haben, sind 95 Prozent aller Täter für ihr Tun komplett verantwortlich zu machen. Wenn ein Stalker aber damit aufhören will, dann hilft es, wenn man nachspürt, woher gewisse Verhaltensweisen kommen. Warum hatte jemand jahrelang gute Beziehungen und wird dann mit 32 zum Stalker? Warum stalkt ein anderer immer wieder, seit er 15 ist? Darauf Antworten zu finden, ist Teil unserer Arbeit.

Aber Ihre Klienten sehen sich als Opfer?

Am Anfang schon. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie abserviert wurden. Häufig auf unschöne Weise, zum Beispiel per SMS. Stalker leiten dann daraus ab, Sie hätten noch das Recht auf ein letztes klärendes Gespräch mit dem Expartner.

Würde das helfen?

In der Regel ist es das Beste, wenn das Opfer jeden Kontakt abbricht und klar sagt, es ist vorbei. Der Andere muss sich damit abfinden, dass er vielleicht nicht die letzten Gründe erfährt, warum es zur Trennung kam. Leider verhalten sich auch manche Gestalkte ambivalent. Ein Beispiel: Ich beende ein Beratungsgespräch mit einer Klientin. Und sie sagt: Jetzt holt mich die Susanne ab. Und ich sage: Moment mal, Susanne ist doch Ihr Stalkingopfer!

Ist das denn dann noch Stalking?

Manchmal wechseln sich Stalking- und Beziehungsphasen ab. Auch die Opfer müssen beraten werden, wie sie sich besser abgrenzen können.

Nun wird aber mit der Stalking-Opfer-Hilfe Berlin ein Projekt zur Opferberatung nicht weiter finanziert.

Das bedaure ich von Herzen und es steht der Politik auch gar nicht gut zu Gesicht. Ich setze große Hoffnungen auf den neuen Senat - dass dort die Notwendigkeit dieser Arbeit erkannt und auch finanziert wird. Wir wären natürlich bereit, unsere Expertise einzubringen und unser Angebot auf Stalking-Betroffene auszuweiten.

Es gibt Kritik, die Opferhilfe müsse aufhören, aber für die Täterberatung sei noch Geld übrig.

Ich möchte das nicht gegeneinander aufwiegen. Ich glaube, es gibt niemanden in der seriösen Opferberatung, der unsere Arbeit nicht auch als Opferschutz betrachten würde. Denn alle anderen Methoden stoßen an ihre Grenzen: Das Opfer kann die Telefonnummer ändern, wegziehen, den Täter anzeigen. Aber oft hilft das nicht.

Und Sie bringen die Stalker dazu, aufzuhören?

Nicht immer. Aber oft hat das Opfer erst dann wirklich Ruhe. Den meisten geht es ja gar nicht um Bestrafung, sondern darum, endlich ihre Ruhe zu haben. Ich glaube schon, dass wir dazu einen bescheidenen Beitrag leisten.

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3 Kommentare

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  • S
    Stalkee

    In dem Werk "Talking statt Stalking" (einfach googeln) wurde nachgewiesen, dass 53% aller Stalker weiblich sind.

     

    Klar, dass die TAZ dann weiterhin auf "Täter" besteht. Wen interessiert schon Wissenschaft, wenn man subtil Stimmung machen kann? Die bösen, bösen Männer...

     

    Zum Thema "Stalking" ist hinzuzufügen, dass die Stalkees oftmals einen nicht unerheblichen Beitrag zum Stalkingprozess liefern - durch gestörte Kommunikation. So entsteht Stalking oftmals ja erst. Viele Täter nehmen sich - oftmals nicht zu Unrecht - selbst als Opfer wahr. Stichwort: seelische Gewalt.

     

    Hier verweisen die Autoren auf "Die Masken der Niedertracht" (ist auch leicht gegoogelt) - gestörte Kommunikation und psychische Misshandlung kann Menschen krank und somit ggfs. zu "Stalkern" machen.

     

    So legt das o. g. wissenschaftliche Werk auch nahe, dass ein Gespräch zwischen Stalker und Stalkee mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen kann, dass das Stalking schlagartig endet oder gar nicht erst entsteht.

     

    Interessiert nur keinen, vielmehr wird empfohlen, weiterhin eine gestörte Kommunikation durch Kommunikationsverweigerung anzuwenden, was das Stalking u. U. ja überhaupt erst auslöst oder gar verstärkt. Also genau das Falsche. Anstatt die Symptome des Stalking zu bekämpfen und zu sanktionieren, sollte man lieber die Ursachen abstellen.

     

    Hier böten sich Schlichtungsgespräche und Mediationen an.

     

    Aber das wird der Gesetzgeber erst umsetzen, wenn bekannt ist, dass v. a. Frauen "Stalkerinnen" werden, denn bei Frauen wird nicht ganz so schnell die Keule heraus geholt wie bei Männern.

  • B
    @Bosch

    Ich würde mal vermuten: weil in der taz alle denkbaren Schreibweisen vorkommen. Täter und Täterin und TäterInnen und Täter_innen und Täter*innen. Nur Täter(innen) sehe ich glaube ich nie... Manchmal wird sogar innerhalb eines Artikels gemixt. Ist doch eigentlich eine ganz gute Variante oder? Kein "Zwang" zum generischen Femininum, aber auch kein immer währendes generisches Maskulinum, bei dem sich alle mitgemeint fühlen sollen.

  • SB
    Siegfried Bosch

    Wieso verwendet die TAZ-Interviewerin hier am Anfang das Wort "Täter" (bei der zweiten Wortmeldung der Interviewerin), obwohl der Interviewte selbst darauf hingewiesen hat, dass es auch weibliche Stalker (sog. Stalkerinnen) gibt? Wieso nicht "TäterInnen"?