TV-Zweiteiler "Die Grenze": Lega Nordost spaltet Deutschland
Starker Tobak: Im neuen Teamworx-Zweiteiler "Die Grenze" trennt sich Mecklenburg-Vorpommern von Restdeutschland ab. Aber wie realistisch wäre das?
Menschen, die den Titel Prof. Dr. Dr. h. c. vor ihrem Namen tragen, sind normalerweise nicht zu Gast, wenn der Sender Sat.1 einen seiner Event-Filme vorstellt. Aber ein brisantes Thema wie das des Zweiteilers "Die Grenze" kann den akademischen Support von Ulrich Battis, Staats- und Verwaltungsrechtler an der Humboldt-Uni, vermutlich gut gebrauchen. In dem Film, zu sehen am 15. und 16. März, spaltet sich Mecklenburg-Vorpommern von der Bundesrepublik ab, nachdem Rostock zu einer Art deutschem Bagdad geworden ist. Die Sezession findet unter Führung einer heimattümelnden Partei namens "Neue Linke" statt und wird hinter der Kulissen von der Bundesregierung choreografiert, der eine Staatenteilung besser passt als ein Wahlsieg der Nazipartei DNS im Nordosten.
Die Hauptwidersacher in "Die Grenze" sind der Verfassungsschutzmitarbeiter Rolf Haas (Benno Fürmann) und der Naziboss Maximilian Schnell (Thomas Kretschmann), eine Mischung aus Jörg Haider, Sektenguru und James-Bond-Filmbösewicht. Haas wird eingeschleust bei den Braunen, die stets ganz in Weiß auftreten und in einem futuristisch anmutenden Hauptquartier residieren. Natürlich kommt "Die Grenze" nicht ohne emotionale Wirrungen aus, und am Ende siegt die wahre Liebe. Aber Sat.1 will es keineswegs allen recht machen. Von den politischen Akteuren kommt niemand gut weg: weder die Regierung, noch der Verfassungsschutz und auch nicht die Polizei, die es nicht verhindern kann, dass als Polizisten kostümierte Nazis den Bürgerkrieg forcieren.
Doch ist die Abspaltung eines Bundeslandes, die die Drehbuchautoren Christoph und Friedemann Fromm und Regisseur Roland Suso Richter im Jahr 2010 geschehen lassen, rein rechtlich überhaupt realistisch? Hier hat Professor Battis seinen Auftritt: Im Grundgesetz sei so etwas nicht vorgesehen und auch das Völkerrecht sei "sezessionsfeindlich", sagt er, und dennoch habe Europa in der jüngeren Vergangenheit erfolgreiche Abspaltungen erlebt. Ob sie gelingen, sei letztlich "immer eine Machtfrage", sagt er - und erinnert daran, dass die Unabhängigkeit Kroatiens ohne die Unterstützung Deutschlands kaum möglich gewesen wäre.
Bei Recherchen stieß Battis darauf, dass 1993 die damalige Linke Liste/PDS in der thüringischen Verfassung das Recht auf einen Austritt aus der Bundesrepublik verankern wollte. Der Vorschlag fiel zwar durch, sei aber ein Beleg dafür, dass sich nicht nur Filmemacher mit diesem Thema beschäftigen. In anderen europäischen Ländern seien Sezessionen angesichts der Unabhängigkeitsbestrebungen von Basken, Katalanen oder Schotten sowieso weniger utopisch.
Während im hiesigen Event-Film sonst die deutsche Vergangenheit dominiert (NS-Zeit, DDR, RAF), wagt sich Sat.1 nun erstmals an einen politisch konfrontativen Gegenwartsfilm. Dass der auf einer Idee von Produzent Nico Hofmann beruhende Zweiteiler eine "Trendwende" markiert, wie Sat.1-Fiction-Chef Joachim Kosack sagt, mag man zwar nicht glauben. Aber angesichts der Tatsache, dass der Fernsehfilm hierzulande ohnehin mehr Politik vertragen kann, ist man ja schon für kleine Impulse dankbar.
"Die Grenze" ist ein Film nach dem Motto "immer auf die Zwölf": Die Gewalt auf der Straße sorgt für Action, das erzählerische Tempo ist hoch. Es mangelt nicht an hanebüchenen Ideen und missglückten Überzeichnungen, aber die Beteiligten machen auch nicht alles falsch. Kalt lassen wird "Die Grenze" kaum jemanden. Angesichts all der Artikel um die Sinnkrise bei Sat.1 und die finanziellen Kalamitäten des Senders kann dieser solche Aufmerksamkeit auch gut gebrauchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen