TÜRKEI: DEN INNEREN FRIEDEN GEFÄHRDEN DIE ANSCHLÄGE NICHT : Islamisten gegen Terror
Zwei Anschläge gegen Synagogen im Zentrum von Istanbul an einem Tag – das waren die schlimmsten Akte des Terrors, die die moderne Türkei in ihrer über 70-jährigen Geschichte erleben musste. Obwohl es nach wie vor keine Täter und auch keine handfesten Beweise für eine Urheberschaft militanter Islamisten gibt, geht man in Ankara genau wie im Ausland doch ziemlich einhellig davon aus, dass der Terror vom Samstag islamistisch motiviert ist. Dafür sprechen schon die Anschlagsziele, auch wenn einige Kommentatoren kritisch anmerkten, dass die Attentäter mit ihren Anschlägen ausgerechnet im Ramadan ja auch ohne zu zögern Muslime getötet hätten, ja sogar die Mehrzahl der Toten muslimischen Glaubens waren.
Allein diese Tatsache macht aber auch deutlich, dass bei Attentaten wie denen in Istanbul die Religion wohl mehr den Vorwand liefert, als dass es sich wirklich um Taten gläubiger Menschen handelt. Deshalb ist es auch falsch anzunehmen, die gegenwärtige türkische Regierung befände sich nun in besonderen Schwierigkeiten, weil sie ursprünglich auch aus der Tradition des politischen Islam stammt. Zwar gibt es innerhalb islamistischer Kreise in der Türkei wie überall sonst auch einen antisemitischen Bodensatz, doch hat es von Funktionsträgern der regierenden AK-Partei AKP bislang keine öffentlichen Äußerungen im Stile eines Martin Hohmann gegeben.
Auch die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Attentate sind absolut eindeutig: Die türkische Gesellschaft ist geschockt, sie trauert um die Opfer. Falls es doch irgendwo klammheimliche Freude geben sollte, äußert sie sich nur klandestin. Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat bereits angekündigt, man werde „jeden Stein umdrehen, um die Mörder zu finden“. Das ist durchaus glaubhaft. Schließlich hat die türkische Regierung sofort und ohne Zögern die Unterstützung der israelischen Polizei und des irsraelischen Geheimdienstes akzeptiert. Wenn der islamische Hintergrund der Regierung überhaupt eine Rolle spielt, dann eher um zu beweisen, dass gerade die AKP mit den Terroristen absolut nichts gemein hat.
Zwar hat Erdogan im Zusammenhang mit den Attentaten von einem Anschlag auf die Stabilität des Landes gesprochen. Trotzdem lässt niemand innerhalb der Regierung irgendeinen Zweifel daran aufkommen, dass die freundschaftlichen Beziehungen zu Israel oder gar die europäische Ausrichtung der Türkei durch Anschläge beeinträchtigt werden könnten. Anders als im Bürgerkrieg mit der PKK steht der innere Friede in der Türkei diesmal nicht auf dem Spiel. JÜRGEN GOTTSCHLICH