TRINKFEST UND MORBIDE : Angst vor Hackepetra
Ein Sommer ist das wirklich nicht“, sagt sie, während wir uns unter dem zum Regenschutz umfunktionierten Sonnenschirm verkriechen, und ich kann ihr nur zustimmen. Ein wenig Sprachlosigkeit herrscht, und so redet man über dies und das. Ja, ja, sie ist neu in Berlin und bei einem Cousin untergekommen. Der ist Mediengestalter und arbeitet bei einem Pornovertrieb, wo er die Cover designt. Seitdem könne er keine Frauen mehr nackt sehen, und sie müsse immer bekleidet in der Wohnung herumlaufen. Sie unterzieht mich einem Quiz, ich muss Pornofilmtitel auf ihre Echtheit prüfen. Einzig „Urlaub am Fiki-kaka-see“ und „Aladdin auf der Wunderschlampe“ entlarve ich als Fälschung.
Noch kommt mir das Ganze recht amüsant vor. In einem gesunden Vierminutentakt geht sie an die Bar ein neues Bier holen. Ihr Name ist Petra, ihre Freunde nennen sie allerdings nur Hackepetra, berichtet sie, und ab diesem Moment beginne ich mich zu fürchten. Ihr ganzes Benehmen wirkt leicht aufgedreht, und das Gespräch driftet in eine nicht vorhergesehene, leicht morbide Richtung ab. Ich fummele bereits an meinem Handy herum, um den Wecker so einzustellen, dass ich in wenigen Minuten ein Telefonat vortäuschen kann.
Immer mehr intime Details aus Hackepetras Leben kommen an die Oberfläche, und da ich diese nicht ertragen kann, wechsle ich das Thema und heuchele Interesse an ihren beruflichen Tätigkeiten vor. Glucksend lacht sie auf, und ihre Augen werden feucht, bevor sie antwortet. „Krankenpflegerin im Altersheim!“ Dass sich daraus kein nervenschonender Dialog entwickelt, ist klar: „Heute ist auf meiner Station eine Oma verstorben. Sie ist an dem Kuchen erstickt, den ich ihr mit der Gabel in den Rachen geschoben habe!“ Sagt’s und nimmt einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
JURI STERNBURG