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Archiv-Artikel

TEUTONISCHE ELEKTRONIK Rätselraten

„Entschuldigung, waren Sie früher bei Kraftwerk?“

Immer wenn man gerade kurz davor ist, endgültig an dieser Stadt zu verzweifeln, passiert einem so was: Man bekommt eine E-Mail (woher die nur meine Adresse haben?) zu einem Minifestival, bei dem Michael Rother, der ehemalige Kraftwerk- und Neu!-Gitarrist, FM Einheit (mit Neubauten-Ruhm) und Air Liquide, Cosmic Baby und Mijk van Dijk – die Techno-Produzenten der ersten Stunde – auftreten sollen. Eine ungewöhnliche Kombination. Doch im Something Else – der Furt zwischen Elsenbrücke und S-Bahn-Trasse am Treptower Park, die sich anschickt, die Bar 25 dieses Sommers zu werden – ist es gähnend leer. Keine hundert Leute. Die meisten sehen aus, als wären sie gerade erst aufgestanden. Es läuft experimenteller Techno.

Nach zwei Stunden Langeweile will ich gerade gehen, als aus der DJ-Kanzel aus Fichtenholz seltsame Geräusche dringen. Drinnen steht ein veritables Drei-Generationen-Haus der teutonischen Elektronik an Tasten, Saiten und Stahlteilen. Vertreter von Krautrock, deutscher Neuer Welle und Techno. Bloß: Wer ist wer? FM Einheit erkennt man am Hammer, mit dem er auf eine Stahlfeder einschlägt. Aber wer von den beiden Gitarristen mit den grauen Schläfen ist Michael Rother? Cosmic Baby erkenne ich. Aber die anderen Knöpfchendreher im Hintergrund? Im Publikum herrscht Rätselraten. Die Veranstalter kennt niemand, also kann man sie auch nicht fragen. Die Musiker will man nicht mit einem „Entschuldigung, waren Sie früher bei Kraftwerk?“ beim Spielen stören. Und die Frau an der Kasse weiß nur zu vermelden, dass das eben ein psychedelischer Jam sei, da wüsste man nie, was passiert und wer dabei ist.

Berliner Sommer halt: In New York könnte man mit diesem Line-up die Knitting Factory füllen. In Berlin weiß nicht mal jemand, wer da eigentlich gerade Musik macht. Und die meisten sind eh am See.  TILMAN BAUMGÄRTEL