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Archiv-Artikel

TESTOSTERON IM SANDKASTEN Wir sind die Champignons

MUTTERSEIN FÜR EINSTEIGER

VON LUCIE MARSHALL

Sam und sein Nachbarfreund Luis sind ein Herz und eine Seele. Wenn sie sich sehen, dann laufen sie sich freudestrahlend entgegen, küssen sich und unterhalten sich wie ein schrulliges altes Ehepaar: „Luis, wolle wir Sandburg bauen?“ „Nein, Sam, erst mal Schnecken suchen.“ „Au ja, Luis, das machen wir!“ Alle anderen sind dann abgemeldet.

Gestern Nachmittag auf dem Spielplatz hat allerdings Luis hat seinen Freund Leo mit dabei und sofort dreht sich der Wind. Während Sam noch freudestrahlend zu Luis rennt, wendet der sich zu seinem Freund und sagt: „Komm wir spielen mit dem Bagger. Sam ist ein Baby.“

Sam ist gekränkt und rennt zu mir: „Mama, Luis habe sagt ich bin ein Baby!“ Ich leide als Mutter natürlich, dass mein Sohn gerade so gedisst wird, schaffe es aber, mich rauszuhalten: „Sam, lass dich nicht ärgern, wollen wir zusammen spielen?“ Das kommt allerdings nicht an: „Nur Babys spiele mit Mamas.“

Dann dreht er sich zu Luis und brüllt: „Bin gar keine Baby, guck ich kann ja laufen“, und geht vor Luis in großen Schritten demonstrativ auf und ab.

Es ist ja nicht so, dass Sam nie austeilt. Im Gegenteil: Oft genug lässt er andere Kinder eiskalt im Regen stehen, sobald Luis auch nur am Horizont auftaucht. Heute bekommt er halt sein Fett weg. Normalerweise beruhigt sich so eine Situation schnell und jeder geht in eine andere Ecke.

Nur ist die Dynamik heute irgendwie anders. Sam lässt nicht locker. Immer wieder geht er zu den beiden und fängt an, sich mit Leo zu kabbeln. Sie schubsen sich, lachen dann aber auch immer wieder und benehmen sich wie junge Gorillas beim Kampf ums Territorium. Ganz nach dem Motto: „Luis ist meine Frau!“ Ich bin total irritiert: Das ist mein süßer kleiner Sam? Dieser kleine Krawallo, dem das Testosteron aus den Ohren zu schießen scheint? Puh. Solange sie sich nur kabbeln, versuche ich die drei zu ignorieren.

Luis’ Mama ist zum Glück ganz entspannt: „Das ist das Testosteron, Lucie“, sagt sie, „meine Kinderärztin hat mir gerade erzählt, dass die mit knapp vier tatsächlich ihren ersten Schub bekommen. Dafür wird es dann in der Pubertät mit Jungs leichter!“

„Das kann ich leider nicht bestätigen“, mischt sich ein Vater in das Gespräch ein: „Aus eigener Erfahrung.“

Oh Gott, zum ersten Mal ahne ich, was mir blühen könnte. Die drei Jungs haben mittlerweile aus dem Duell heraus ins gemeinsame Spiel gefunden. Sie rennen über den Spielplatz und ich höre, wie Sam mir zubrüllt: „Wir sind die Champignons!!“ „Wie kommen die denn darauf, Champignons zu sein?“, frage ich Luis Mama. „Ich glaube, er meint: Champions!“ Au weia, ich muss mich wirklich warm anziehen.

■ Tanya Neufeldt alias Lucie Marshall schreibt hier über den zauberhaften Wahnsinn, der über uns hereinbricht, wenn frau Kinder bekommt. luciemarshall.com