TERRORISMUS II: VERFASSUNGSSCHUTZ RAUS AUS DEN SCHULEN : Schauen, reden – aber nicht weitergeben
Das ist alles schon einmal da gewesen: Ein Lehrer schöpft Verdacht bei einem auffälligen Schüler. Er berät sich über diesen Verdacht mit der Direktorin. Diese holt die Meinung des Kollegiums ein. Schließlich informiert sie den Geheimdienst. Andere Pädagogen hatten den Verdacht erhärtet. Die Folge: Der Schüler wird samt seiner Familie zuerst vom Geheimdienst wegen des Verdachtes observiert. Und dann verhaftet. Der Geheimdienst meldet stolz: Wieder eine Republikflucht vereitelt.
Die Erfahrung lehrt: Schulen müssen geheimdienstfreie Räume bleiben. Eben weil Heranwachsende ein Recht auf Irrtum haben, brauchen sie besonderen Schutz, besondere Spielräume, besondere Freiheiten. Es ist ein Skandal, wenn der Verfassungsschutz an Schulen wegen eines verfassungsfeindlichen Graffitos ermittelt. Und weil auch sie das als Skandal empfinden, stellen sich die Pädagogen solchen Versuchen entgegen.
Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen einer Bombe und einer Stinkbombe, zwischen Rede und Tat. Jugendliches Ungestüm sucht nach einem Weg der Artikulation. Beizubringen, dass dieser Weg moralischen und zivilen Regeln zu gehorchen hat, ist Sache und Handwerk der Pädagogen. Zu fordern, besondere Auffälligkeiten dem Geheimdienst mitzuteilen, entließe die Pädagogen einerseits aus ihrer Verantwortung. Andererseits muss sie eine solche Forderung schlichtweg beleidigen: Schließlich sorgt ihr Handwerk dafür, dass die Zahl der Bombenleger, die deutschen Schulen entwuchsen, vernachlässigbar gering ist.
Der Fall des 20-jährigen Schülers aus Kiel zeigt, dass es gar nicht notwendig ist, auf Direktors Tisch ein rotes Telefon zu installieren: Die vorhandenen Überwachungsmechanismen reichen völlig aus, um potenziellen Bombenlegern das Handwerk zu legen. Damit deren Zahl auch weiterhin vernachlässigbar bleibt, brauchen Heranwachsende Sicherheiten. Zum Beispiel die, dass freie Meinungsäußerung in der Schule auch garantiert verfassungsschutzfrei praktiziert werden kann. Und natürlich die, dass den größten Unsinn die Lehrer mit ihnen debattieren – statt zu melden. NICK REIMER