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Archiv-Artikel

TARIFABSCHLUSS: STAHLARBEITER SIND GLOBALISIERUNGSGEWINNER Rückkehr von Menge und Masse

3,5 Prozent mehr Lohn, ausgerechnet für Stahlarbeiter. Das bringt Weltbilder ins Wanken. Denn bis vor kurzem galt die Dienstleistungsbranche als der große Zukunftssektor. Doch seit die New Economy vorbei ist, halten dort die Pleiten an; und wer noch einen Job als Webdesigner hat, der ist inzwischen mit null Lohnzuwachs zufrieden, um nicht bei null Lohn zu landen. Stattdessen reüssieren nun die Industriearbeiter, die ihre großen Erfolge vor Jahrzehnten hatten. Der Fortschritt scheint stillzustehen.

Ein paar tausend deutsche Stahlarbeiter profitieren davon, dass weltweit die Stahlpreise explodieren, weil sich nun auch Inder und Chinesen Autos und Kühlschränke leisten können. Trotzdem ist der Tarifabschluss auch ein Symbol dafür, dass die ökonomische Zukunft anders aussieht als gedacht. Noch vor kurzem galt als ausgemacht, dass qualitative Innovationen die Weltwirtschaft vorantreiben. Erst seit neuestem ist die quantitative, die Tonnenideologie wieder in der Mode. Der ganze Globus hofft auf den Konjunkturimpuls, den das „nachholende Wachstum“ von Milliarden Asiaten auslösen könnte. Die weltweite Verbreitung der Konsumgüter aus den letzten Jahrhunderten soll die Globalwirtschaft endlich in die Zukunft befördern. Das 19. Jahrhundert als Vorbild für das 21. – es bleibt erstaunlich.

Die einstige Hoffnung auf das qualitative Wachstum hatte gute Gründe: Man fürchtete sich vor dem Rohstoffmangel, den ein rein quantitatives Wachstum auslösen könnte. Nun jedoch tritt eine eigenartige Gleichzeitigkeit ein: Die Rohstoffe werden knapp, und dennoch geht es – auch im Denken – weiter um die Expansion des weltweiten Konsums. Das kann nicht lange gut gehen.

Zumindest zwischenzeitlich ist klar, wer die Profiteure sind: Alle, die zufällig in der Rohstoffindustrie beschäftigt sind, können sich freuen. Das weckt Neid, zum Beispiel bei den Angestellten im Einzelhandel, deren Tarifverhandlungen ebenfalls gerade laufen. Sie können schon froh sein, wenn es real bei einer Nullrunde bleibt. Es hat eben doch nicht jede Branche aus der Vergangenheit auch eine große Zukunft. Aber auch Globalisierungsgewinne sind endlich. ULRIKE HERRMANN