TANIA MARTINILEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Die Metropole wollen, alles wollen
Wie ein stoischer Sklave glaubt der Student sich umso freier, je mehr alle Ketten der Autorität ihn fesseln.“ Mit seinem Boheme-Gebaren verdiene er sich die Verachtung von alten Damen auf dem Lande, seine abstrakte Art der Verweigerung bringe ihn dazu den Realsozialismus zu bewundern. Ihm werde nicht einmal bewusst, dass die Geschichte auch seine lächerliche, abgeschlossene Welt verändere – die Universität an die Umwandlung des gesamten Produktionsapparats angepasst werde.
Mustapha Khayati verfasste 1966 diese Polemik in der kleinen Broschüre mit dem Titel „Über das Elend im Studentenmilieu“, die aus heutiger Sicht gern als eine Art Bewegungsverstärker für das Jahr 1968 gedeutet wird. Der Text gehört zu den besten, die von der Situationistischen Internationalen hervorgebracht wurden, und tatsächlich tauchte er während der letzten Uni-Streiks hier und dort als Leseempfehlung in irgendwelchen Foren wieder auf.
Es ist unsinnig, jeden Uni-Streik mit 1968 zu vergleichen. Wie es noch unsinniger ist, Veteranen zu Wort kommen zu lassen oder die Universität vor Bologna als Ort kritischen Denkens zu verherrlichen. Die Kämpfe um 1968 jedenfalls waren in erster Linie antiautoritär geprägt. Das ist heute anders.
Heute geht es in erster Linie um den Zugang zu und die Kontrolle über das Wissen. Um das zu verstehen, dafür gibt Khayati bereits einen wichtigen Hinweis, wenn er auf die Universität als spezifischer Produktionssektor innerhalb der gesellschaftlichen Produktion hinweist. Das ist ein Aspekt, der auch gegenwärtig häufig vernachlässigt wird in der Aufregung um die einzelnen, leider massenhaften Blödheiten, die die neoliberal reformierte Uni mit sich bringt.
Andere hingegen gehen weiter und formulieren, die Universität sei heute wie einst die Fabrik der paradigmatische Ort der Kämpfe schlechthin. Dem liegt zugrunde, dass Wissen zu einem Hauptproduktionsmittel geworden ist, jedoch: Konzentrieren sich die Kämpfe um das Wissen wirklich an den Universitäten?
Toni Negri und Michael Hardt behaupten in ihrem jüngst veröffentlichten Buch „Common Wealth“ (Campus 2010), an die Stelle der Fabrik trete die Metropole. Diese Setzung hat auch strategischen Charakter: In der Metropole kommen potenziell die unterschiedlichen Konfliktlinien zusammen, in denen es gegenwärtig immer auch um die Kontrolle über das Wissen geht – die studentischen Kämpfe mit den antirassistischen oder den gewerkschaftlichen etc. Und tatsächlich kamen es in Italien im letzten Jahr zu einer Verbindung zwischen der neuesten Studentenbewegung – der sogenannten Welle der Anomalie –, der Gewerkschaft der Prekären und der Metallarbeitergewerkschaft, die schließlich in die gemeinsame Forderung eines garantierten Einkommens für alle mündete.
Kurzum, es könnte darum gehen, solche produktive Verbindungen verstärkt zu suchen. Die lächerlichen, abgeschlossenen Welten zu verlassen und sich der Metropole zu übergeben.
■ Die Autorin ist Kulturredakteurin dieser Zeitung Foto: privat