TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Der Unruhestifter als Kulturgut
Guy Debord wird in Frankreich heiliggesprochen, während auf den Straßen die Autos brennen und der Bewegung aus den Banlieues noch der Cheftheoretiker fehlt
Über 200 Autos gingen in der Nacht vor dem französischen Nationalfeiertag am 14. Juli in der Pariser Banlieue in Flammen auf. Welche Formen der Unzufriedenheit die Soziologen in dieser fast schon klassischen Protestform auch immer entdecken mögen, der Zeitpunkt ist sehr symbolisch: Es geht gegen den französischen Staat, gegen Sarkozy, für den die Banlieuesardes nur Verbrecher sind.
Deren Haltung ist unversöhnlich und radikal, aber wie bei jeder Jugendrevolte kommt aus ihrer Mitte wenig, um im Widerstand eine theoretische Perspektive zu entwickeln, die über den Aspekt der sozialen Benachteiligung hinausgehen würde.
Aber selbst wenn es – wie in Paris 1968 – jemanden gibt, der dem zunächst meist blinden Protest ein Bewusstsein gibt, wie Guy Debord, der mit „Die Gesellschaft des Spektakels“ das Handbuch zu den Unruhen verfasst hatte, dann heißt das noch nicht, dass die Subjekte der Revolte den richtigen Gebrauch davon machen. Heute wird Debords Hauptwerk an den Fachbereichen für Kommunikationsdesign und der Hochschule für Kunst gelesen. Debord selbst hat sich der integrativen Kraft des Staates konsequent entzogen, jedenfalls solange er lebte.
Fünfzehn Jahre nach seinem Selbstmord wurde er von der bisherigen Kulturministerin Christine Albanel, zum „nationalen Kulturgut“ erklärt. Die Yale University interessiert sich für den Nachlass Debords und soll mehrere Millionen dafür zahlen. Die FAZ kommentierte diese Hinwendung zu einem der großen Staatsfeinde etwas hämisch als „kulturellen Heimatschutz“.
In seinem schönsten Buch „Panegyrikus“ schrieb er, dass er sich mit Leuten herumgetrieben habe, „die nur negativ definiert werden konnten, weil sie keinen Beruf hatten, keinem Studium nachgingen und keine Kunst ausübten“. Das trifft auch auf viele Banlieue-Jugendliche zu. Heute ist es so, dass der einzige flüchtige Hinweis auf eine Theorie, die die Unruhen in sich bergen, die reine Negativität ist. Vielleicht ist das das letzte Erbe Debords, als er den Virus des Negativen in die Welt setzte.
■ Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz. Foto: Privat