System Koch: Der Hessen-Berlusconi
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ist immun gegen Skandale geworden. Doch wie korrupt ist der 51-Jährige wirklich? Fünf Fälle aus einem CDU-Staat.
In demokratischen Ländern würde man von einem Herbst der Skandale sprechen. In demokratischen Ländern hätten die Verantwortlichen zurücktreten müssen. In Hessen gilt: Was uns nicht umbringt … In zehn Jahren Amtszeit hat Ministerpräsident Roland Koch Hessen zu einem CDU-Staat umgebaut. "Ich bin Sprecher der schweigenden Mehrheit", hat er mal gesagt. Da muss was dran sein, sonst hätten sie ihn längst in die Wüste geschickt. Der hessliche Herbst in fünf Folgen.
1. Im November wird doch noch der Hessische Kulturpreis verliehen. Geehrt werden in alphabetischer Reihenfolge: Navid Kermani, Schriftsteller und Islamwissenschaftler, Salomon Korn vom Zentralrat der Juden, Karl Kardinal Lehmann und Peter Steinacker von der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau. In Medienberichten ist die Reihenfolge immer so: Katholik, Evangele, Jude, Islamwissenschaftler. Vor der Preisverleihung gab es Ärger. Auf Druck der beiden Christen wurde Kermani der Preis vorübergehend aberkannt. Vorsitzender des Kuratoriums ist Roland Koch.
2. Gegen massiven öffentlichen Druck setzt der Verwaltungsrat des ZDF Chefredakteur Nikolaus Brender ab. Dem Kandidaten des Intendanten hilft auch nicht der offene Brief von 35 Staatsrechtlern, die den Fall als "Prüfstein für die Rundfunkfreiheit" bezeichnen. Die CDU-Mehrheit setzt sich durch, angeführt von Roland Koch.
3. Im November wird der Psychiater Thomas H. zu 12.000 Euro Geldbuße verurteilt. Das Verwaltungsgericht Gießen stellt fest, dass H. vier psychiatrische Gutachten "nicht entsprechend den fachlichen Anforderungen erstellt" habe. Der Verdacht: Gefälligkeitsgutachten, missliebige Steuerfahnder sollten aus dem Verkehr gezogen werden, um (einfluss)reiche Steuerbetrüger zu decken. Opfer sind vier hochrangige hessische Steuerfahnder, die im CDU-Schwarzgeldskandal ermittelt hatten. Die Fahnder werden zwangspensioniert und beklagen systematisches Mobbing. Die Süddeutsche Zeitung kam sich vor wie in "Panama, wo es aus Überlebensgründen für Fahnder ratsam ist, nicht immer alles herausfinden zu wollen". Ins Visier gerät Hessens Finanzminister Karl-Heinz Weimar. Der mauert. Sein Chef ist Roland Koch.
4. Der Frankfurter Anwalt Michael Wolski, 66, steht wegen Steuerhinterziehung vor Gericht. Verfahren wegen Untreue und Betrugs laufen. Trotz dubioser Geschäfte verlangen die Finanzämter in Frankfurt und Offenbach von Wolski jahrelang keine Steuererklärung. Wolskis Ehefrau Karin ist Richterin am Hessischen Staatsgerichtshof und Vizepräsidentin am Verwaltungsgericht Frankfurt. Und Mitglied der CDU. Kritiker sehen ein Versagen der Finanzverwaltung von Minister Weimar und fordern den Rücktritt der Richterin Wolski. Im Prozess kommen bizarre Details über die Geldbeschaffungsmethoden der Wolskis zu Tage.
Michael Wolski habe sich als "Witwentröster" das Vertrauen der "reichen Witwe Margit C." erschlichen. Für seine Liebesdienste wird Wolski von der bald Neunzigjährigen belohnt. Geld, Wohnungen, Autos, auch für Richterin Wolski fällt ein Mercedes ab. Wolski-Sohn Nico, heute CDU-Stadtverordneter in Neu-Isenburg, bekommt über Jahre 1.000 Euro Taschengeld pro Monat von Frau C. Bei der betagten Dame ist in absehbarer Zeit mit einem jüdischen Vermächtnis zu rechnen. Die in den Medien nur "reiche Witwe" genannte Margit C. war mit Ignaz C. verheiratet. Den schildert die Lokalpresse als Holocaustüberlebenden, der zum millionenschweren Immobilientycoon aufstieg. Selten fehlt vor dem Tycoon das Adjektiv "jüdisch". Da war doch was. Der "reiche Jude" aus Fassbinders Frankfurt-Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod". Die "jüdischen Vermächtnisse" hatte die hessische CDU 1999 erfunden, um sich aus dem Schwarzgelderklärungsnotstand zu winden. Über den Skandal stürzte Franz Josef Jung. Der Chef der Hessischen Staatskanzlei musste gehen, um seinen Chef zu schützen. Dafür macht ihn Roland Koch später zum Berliner Minister.
5. Die SPD-Landtagsabgeordnete Carmen Everts, die 2008 mit drei Parteikollegen die Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin verhindert hatte, wird Referatsleiterin bei der Landeszentrale für politische Bildung. Thomas Klein von der Linkspartei: "Das passt ins System Koch, Unliebsame an den Rand zu drängen und andere zu belohnen."
Mal wieder werden Rücktrittsforderungen gegen Koch laut. Das sei unumgänglich, "wenn Verantwortung in Hessen noch irgendeinen Sinn haben soll", sagt nicht etwa die Linkspartei, sondern Wilhelm Schlötterer, ehemals hoher Ministerialbeamter und CSU-Mitglied. Bei der Kulturpreis-Verleihung äußerte Navid Kermani in seiner Rede die Hoffnung, Roland Koch möge ihm persönlich erklären, "warum Sie wie kein anderer Politiker einer großen Gruppe von Menschen das Gefühl gegeben haben, nicht zu diesem Land zu gehören, Menschen wie mir, deren Eltern nach Deutschland eingewandert, in vielen Fällen geholt worden sind".
Die Antwort auf diese Frage ist das Erfolgsrezept des Koch-Systems. Um einer Mehrheit im Land das Gefühl zu geben, dazuzugehören, muss man einer Minderheit das Gefühl geben, nicht dazuzugehören. Zu Kochs schweigender Mehrheit gehören keine Kermanis. Mit den nichtarischen Namen der Spitzenkandidaten von SPD und Grünen macht die hessische CDU 2008 Wahlkampf: "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen!" Tarek Al-Wazir kennt das System Koch aus der Nähe. "Das sind Raufbrüder, die handeln nach der Devise: Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich." Der Politikersohn Roland Koch handelt so, seitdem er der Jungen Union beitrat. Mit vierzehn.
Fast so lang wie Koch war Peter Voß, 68, in der CDU. Jetzt ist der ehemalige ARD-Vorsitzende ausgetreten. "Herr Koch hat mit seinem Vorgehen der CDU, dem ZDF und den Medien schwer geschadet." Der Durchmarsch der Union sei "ein Angriff auf die Unabhängigkeit des Senders". Wie die Leber mit ihren Aufgaben so wächst Kochs Chuzpe mit seinen Gegnern. Medienarbeit hat er in Hessen trainiert. Kaum im Amt, beginnt Koch mit dem Umbau des Rundfunkrats. Tarek Al-Wazir sitzt als Vertreter der Grünen seit 2003 in dem Kontrollgremium: "Unter dem Deckmantel der Modernisierung wurde die Zusammensetzung der gesellschaftlichen Gruppen neu definiert. Da werden nicht alle tendenziell Linken rausgeschmissen und durch Rechte ersetzt, das geht subtiler. Zwei mal links, sieben mal rechts. Da kommt der Bauernverband, die Freiberufler, aber auch, damit es nicht so auffällt, Ausländervertreter. Nur mit dem Bund der Vertriebenen haben sie einen Fehler gemacht. Die wurden erstmals seit 1946 in den Rundfunkrat genommen. Von wegen gesellschaftliche Relevanz …" Hat Koch aus dem Hessischen Rotfunk einen Schwarzfunk gemacht? Al-Wazir antwortet diplomatisch. Helmut Reitze, seit 2003 Intendant des HR, wisse sehr genau, "wem er seine Stellung verdankt. Er hat den HR modernisiert. Die politische Neuausrichtung sieht man an der Installation des konservativen Alois Theisen als Chefredakteur."
Beim Hessischen Fernsehen, dessen schwache Quoten Roland Koch offenbar weniger Sorgen machen als die der ZDF-Nachrichten, feiert man dieser Tage. Die Quote ist leicht gestiegen. Dank der "Umorientierung auf uns selbst", so der Intendant. "Wir setzen auf Hessen, Hessen und nochmals Hessen." "Hessens schönste Burgen", "Die Lieblingsweihnachtslieder der Hessen", "Hessen-Quiz" … Beim "Apfelweinanstich" geben sich Intendant und Ministerpräsident vor laufender Kamera den Sauren. Hessliche Verhältnisse: Blauer Bock und Bull & Bear auf engstem Raum, mentale Provinz und Mainhattan-Größenwahn gehen gut zusammen. Deregulierung, Wettbewerb und Mobbing, im milden Licht des naturtrüben Äpplers tut das gar nicht mehr so weh. Auf ökonomische Globalisierung reagiert Hessen mit kultureller Provinzialisierung.
Udo-Jürgens-Fan Koch bevorzugt deutsche Kost. Nach Wisconsin reist er, um sich ein Modell zum Abbau der Sozialhilfe anzuschauen. Unter seinen Anhängern gibt es eine kaum verhohlene Bewunderung für die Kombination aus retrogressiver Heimatfilmhaftigkeit und rabiater Dreistigkeit, mit der sich Koch über formaldemokratische Fisimatenten und postmigrantische Sperenzchen hinwegsetzt. Mit dieser schweigenden Mehrheit kommt er durch den Winter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles