Suttgarter Zeitung "Sonntag Aktuell": Redaktion wird geschlossen
In einem bizarren Poker ist der gesamten Redaktion des Blattes "Sonntag Aktuell" gekündigt worden. Den Verlag drücken Schulden aus der eigenen Expansionspolitik.
STUTTGART taz | Die jüngste Ausgabe von Sonntag aktuell verrät nichts: keine Zeile, keine Anspielung zu dem Drama, das der Redaktion mitten in der Produktion der gestern erschienenen Nummer widerfahren ist: Am Freitag kam hoher Besuch in die Redaktionsräume im siebten Stock des Stuttgarter Pressehauses. Geschäftsführer Bernhard Reese räumte mit allen Gerüchten der vergangenen Woche über neue Einsparungen auf - indem er verkündete, dass alle 17 Mitarbeiter von Sonntag aktuell bis Ende des Jahres ihre Arbeit verlieren sollen.
Damit endet ein unübersichtliches, jahrelanges Hickhack um das Blatt, das aktuell mit einer Auflage von rund 600.000 Exemplaren gratis als siebte Ausgabe den Lesern von Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten und diversen Regionalblättern im Südwesten der Republik geliefert wird.
Die Zeitung sei den Verlegern - genauer müsste es heißen: der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), der die meisten an Sonntag aktuell beteiligten Titel gehören - zu teuer, teilte Reese den Redakteuren lapidar mit. Die kündigten postwendend an, die Entscheidung nicht widerstandslos hinnehmen zu wollen: "Es reicht", heißt es in einem offen Brief der Redaktion, schließlich arbeite man schon "seit Jahren unter dem Druck von Sparmaßnahmen und der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes". Hintergangen fühlt man sich vor allem von Christoph Grote, dem Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten. Denn der hatte die Redakteure Anfang Juli in einer Konferenz wissen lassen, sie machten ein "beliebiges", "weinerliches", und "betuliches" Blatt. Grote leitet nun eine Projektgruppe, die bis September ein neues Konzept für die Sonntag aktuell entwickeln soll. Der Verwaltungsrat der Sonntag aktuell GmbH schrieb in einer Pressemitteilung von einer "inhaltlichen", "optischen" und "organisatorischen" Neuausrichtung des Blattes, das im Anzeigen- und Beilagenmarkt neu positioniert werden solle. "Üblicherweise heißt das: mehr PR-Journalismus, mehr für Anzeigenkunden dienliche Artikel", übersetzt ein Insider das neue Konzept.
Reich: Die Blätter der Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) erscheinen vom Rhein bis zur Schweizer Grenze, in Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Bayern. Flaggschiffe sind die Stuttgarter Zeitung und die Süddeutsche Zeitung (München).
Hauptmänner: Offiziell ist die SWMH ein Zusammenschluss, der auf den Schultern vieler kleiner und mittlerer Verleger ruht. Das Sagen haben aber bald nur noch die Medien-Union der Gebrüder Schaub (Rheinpfalz) und der neue SWMH-Geschäftsführer Richard Rebmann (Schwarzwälder Bote).
Ambitionen: Neben Sparmaßnahmen setzten die SWMH bzw. ihre Gesellschafter auch weiter auf Expansion: Ende Juni wurde bekannt, dass die Medien Union knapp 8 Prozent am nächsten dicken Brocken in der Region, dem Mannheimer Morgen, erwirbt. STG
Erdacht wird der neue Kurs in der Stuttgarter Zentrale der SWMH, unter deren Dach in einem komplexen Beteiligungsgeflecht die meisten Regionalzeitungen im Südwesten erscheinen. 2008 hatte die SWMH nach langem Geschacher für rund 700 Millionen Euro die Mehrheit am Süddeutschen Verlag gekauft, in dem die Süddeutsche Zeitung erscheint. Finanziert wurde der Deal von der BW-Bank, einer Tochter der Landesbank Baden-Württemberg (LBW). Die LBW verschaffte der SWMH zudem sogenannte Schuldscheindarlehen bei institutionellen Anlegern im Wert von 300 Millionen Euro, die die Presseholding bis binnen fünf Jahren zurückzahlen muss - zunächst 40 Millionen Euro jährlich.
Bei Abschluss des Deals war man von steigenden Umsatz- und Anzeigenerlösen bei der SWMH ausgegangen, doch im ersten Quartal 2009 brachen allein die Erlöse von Stuttgart Zeitung und Stuttgarter Nachrichten um 37 Prozent ein. Zudem will die SWMH noch weiter expandieren. Vor diesem Hintergrund sind die Entlassungen beim 1979 gegründeten Sonntag aktuell zu sehen, vermutlich wird dem Leser nach dem Relaunch statt einer engagiert gemachten regionalen Sonntagszeitung ein aufgehübschtes Anzeigenblatt serviert.
Dabei hatte die alte Redaktion bereits in den letzten Jahren versucht, Sparzwängen Rechnung zu tragen. Als 2006 drei Redakteure entlassen werden sollten, machte man Abstriche beim Gehalt und rettete die Kollegen. Auf eigene Initiative hatte die Redaktion schon Anfang 2009 einen Entwurf für einen Relaunch präsentiert.
Schon in der Vergangenheit hatten 220 Redakteure von Sonntag aktuell, Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung gegen den Umgang der Geschäftsführung mit der Sonntagszeitung demonstriert. "Dies ist kein zivilisierter Umgang unter Menschen, geschweige denn ein kollegiales Miteinander, das im Stuttgarter Pressehaus lange Zeit gegolten hat", so die Redaktion der Stuttgart Zeitung zu den Vorgängen. Die Zeichen stehen auf Sturm, in dieser Woche stehen in den verschiedenen Redaktionen Betriebsversammlungen an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“