■ Super-8-Filmer als Trendsetter: Spießerglück als Szenetip
Berlin (taz) – Mit Super-8-Filmen assoziieren die meisten Leute die unbeholfenen Familienurlaube ihrer Eltern oder die zuweilen an Geschmacklosigkeit grenzende Kult-Collage „Deutschland privat“. Dieser Streifen, der Themen des Spießeralltags behandelt, angefangen mit „unser Elli im Kreisverkehr“ oder hausgemachten Pornos mit Luftballons, mag viele Hobbyfilmer angeregt haben. Super 8 ist plötzlich wieder in.
Die Kleinbild-Filmerei hat sich zu einer eigenen Kunst- und Unterhaltungsform emanzipiert. Während jede Silberhochzeit heute auf Videokassette gebannt wird, erhebt Super 8 den Anspruch auf unterhaltsame Kunst. Ein Video kann jeder machen; zu einer eigenen Filmproduktion gehört dagegen nicht nur die Liebe zum Medium, sondern auch unendlich viel Geduld und ein gewisses Maß an technischem Know how.
Allein in Berlin gibt es bereits drei Super-8-Kinos, die nach einigen Anlaufschwierigkeiten endlich ihr Publikum gefunden haben. In Berlin-Mitte gibt's den „Eimer“ und in Kreuzberg das „Werkkino“ und das „Arcanoa“. Eine Super-8- Abspielstätte ist in der Regel eine winziges Kino in noch kleinerem Rahmen: Die Zuschauerräume, meist im dezenten Chic eines Wohnzimmers gehalten, das aus der Zeit stammt, als die Jeans noch Nietenhose hieß, bieten für höchstens 20 Personen Platz. Durch diese intime Atmosphäre wird der Kinoabend zum Happening. Im Gegensatz zum großen Kino sind Zwischenkommentare sogar erwünscht. Der Eintrittspreis ist niedrig, da sonst möglicherweise zu befürchten steht, daß gar keiner kommt. Entweder ist der Eintritt ganz umsonst (Arcanoa) oder er liegt bei höchstens vier Mark (Eimer). Bei dem ersten Kinobesuch ist der Kassierer, der in der Regel gleichzeitig auch Vorführer ist, noch erstaunt und fragt: „Wo kommt ihr denn her, hat uns etwa jemand empfohlen?“ Nach dem zweiten Besuch kann man davon ausgehen, daß man wie ein alter Bekannter persönlich per Handschlag begrüßt wird.
Die Super-8-Freunde sind in ihrem Bestreben, die Kleinfilmerei zu einem Trend zu machen, äußerst optimistisch. Auf die Frage, woher man denn dieses enorme Selbstbewußtsein nehme, antwortet Heiko Balsmeyer, Leiter des Eimer, kulturbeflissen: „Super 8 ist astreine Unterhaltung und überhaupt nicht langweilig. Schließlich können die verschiedensten und innovativsten Ideen in nur wenigen Minuten dargebracht werden und müssen nicht unbedingt als abendfüllendes Programm entwickelt sein.“
Wer jetzt glaubt, die Filmerei auf den 8-mm-Streifen sei eine Marotte von Berliner Trash-Freunden, der irrt sich. Seit Jahren schon treffen sich die Super-8-Freaks auf überregionalen Festivals, wie dem jährlichen „No Budget“ in Hamburg oder den „Filmzwergen“, die alle zwei Jahre in Münster zusammenkommen. Auf diesen Filmfesten wird freilich nicht nur Super-8-Material gezeigt, sondern auch Filme auf 16 mm und 35 mm. Dort können sich nicht nur Filmstudenten austoben, sondern jeder, der eine Kamera besitzt, kann sein Resultat einschicken. Eine Jury wählt dann aus den meist etwa 200 Beiträgen 70 bis 80 Filme für die Festivals aus. Mit dem Geldverdienen verhält es sich hier genauso wie beim „großen“ Kino, denn auch diese Filmfeste haben den Sinn und Effekt einer Messe. Ist ein Film erfolgreich, dann wird er häufig gezeigt. Und je häufiger ein Film gezeigt wird, desto mehr Gewinn wirft er ab. Reich wird man auf diese Weise zwar nicht, aber zumindest können so die relativ hohen Herstellungskosten abgedeckt werden, die bei ca. drei Mark pro laufender Minute liegen. Kirsten Niemann
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