Suche nach dem Ursprung der Tuberkulose: In Jericho wird wieder gegraben
Ein trinationales Forscherteam aus München, Ost- und Westjerusalem sucht nach dem Ursprung der Tuberkulose. An 7.000 Jahre alten Skeletten sollen neue Erkenntnisse gewonnen werden.
JERUSALEM taz Fünfzig Jahre nach den letzten Ausgrabungen in Jericho treibt es die Archäologen wieder in die alte Stadt. Ziel eines trinationalen und multidisziplinären Forschungsprojekts ist die Untersuchung von bis zu 10.000 Jahre alten Knochen, die in erster Linie neue Erkenntnisse über die Ursprünge der Tuberkulose bringen sollen. Beteiligt sind palästinensische, israelische und deutsche Experten.
Was die Forscher zur neuen Suche anspornt, ist nicht gerade ein Mangel an Untersuchungsmaterial. Ganze Kisten mit Knochen, die aus der Bronzezeit und früher stammen, fand Professor Mark Spigelman von der Hebräischen Universität in Jerusalem bei einem Heimatbesuch in Sydney. Die britische Archäologin Kathleen Kenyon, die weltweit mit zahlreichen Forschungsinstituten zusammenarbeitete, hatte die Knochen in den Jahren 1952 bis 1958 in Jericho ausgegraben. Ein Teil davon landete schließlich im Museum der Universität Sydney. "Seither liegen sie dort in Kisten herum, ohne dass sie jemals untersucht wurden", berichtet Spigelman.
"Kenyon", so setzt sein palästinensischer Kollege, der Ernährungswissenschaftler Professor Ziad Abdeen von der Ostjerusalemer Al-Quds-Universität, hinzu, habe "hunderte Knochen und sogar komplette Körper ausgegraben", die in "England, möglicherweise in Berlin und in Holland" gelagert werden.
Die besten Bedingungen für die Skelette herrschen jedoch in der Erde, in der sie ursprünglich begraben wurden. "Neu ausgegrabene Knochen verfügen auch über altertümliche DNA und haben gleichzeitig den Vorteil, dass sie nicht mit moderner DNA in Kontakt gekommen sind", rechtfertigt der studierte Chirurg und Archäologe Spigelman die Entscheidung, erneut in Jericho zu graben.
Die Arbeit im Tel, dort, wo laut Altem Testament die Kinder Israels das Gelobte Land erreichten und Josua mit Posaunen die Mauern einriss, wird von palästinensischen Archäologen vorgenommen werden. Israelischen Staatsbürgern ist seit Beginn der Zweiten Intifada Ende 2000 die Einreise in das Westjordanland untersagt.
"Die Ausgrabungsgenehmigungen der PA [Palästinensische Autonomiebehörde] liegen vor", sagt Abdeen, der hofft, die auf zwei bis drei Jahre angelegte Arbeit schon in sechs Monaten aufnehmen zu können.
Nur die Finanzierung muss noch geklärt werden. Bisher trägt die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Kosten für die weitere Untersuchung der Knochen mit je zwei neuen Mitarbeiterstellen in Ost- und Westjerusalem und einer weiteren in München. Dort erforscht Professor Andreas Nerlich, Leiter der Pathologie des Klinikums München-Bogenhausen, die DNA von Mumien.
Über die Tuberkulose, so berichtet der deutsche Mediziner, "wissen wir schon relativ viel aus der frühen Zeit in Ägypten". Die bisherigen Forschungen reichten bis 3.000 Jahre vor Christus. In Jericho würden "wir noch 7.000 Jahre weiter in der Geschichte zurückgehen".
Viele der noch heute bestehenden Ansteckungskrankheiten haben sich damals entwickelt. Die Ursprünge der Tuberkulose sind noch immer nicht erforscht. Dabei biete sich gerade das Tuberkulose-Bakterium für eine Untersuchung an, da dieses "aufgrund seiner Beschaffenheit relativ stabil ist, deshalb besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die DNA von Bakterien überlebt hat". Später will Nerlich gemeinsam mit seinen Kollegen die Forschung auf Malaria ausweiten und auf Leishmaniose, ein zumeist von Mücken übertragenes Hautgeschwür.
Was die Forscher optimistisch stimmt, ist, dass ihr Material einen sehr langen Zeitraum abdeckt. "Wir reden von einem Millennium und mehr", sagt Spigelman, der die Entwicklung sowohl der Bakterien als auch der menschlichen Körper mikrobiologisch untersuchen wird. "Die Mikroorganismen wirken auf die Genetik", erklärt der Mediziner. Doch "genauso, wie sich der Mensch verändert, passt sich auch die Bakterien-DNA den immer neuen Verhältnissen an". - "Sie sind clever", setzt Abdeen lächelnd hinzu.
Anhand zweier Knochen demonstriert der palästinensische Ernährungswissenschaftler die mit bloßem Auge erkennbaren sozialen Unterschiede der beiden Menschen. Die deutlich dickeren Wände bei einem der Knochen ließen den Rückschluss zu, dass "es sich hier um jemanden handelt, der sich besser ernähren konnte als andere".
Abdeen untersucht die Größe der Körper, die Zähne und die Knochenstärke. Die heute der Wissenschaft zur Verfügung stehenden molekularbiologischen Techniken, so erklärt er, gebe den Forschern ungleich bessere Möglichkeiten die menschlichen Überreste zu untersuchen, als noch vor zehn oder gar fünfzig Jahren.
Der Ernährungswissenschaftler aus Ostjerusalem, der sich gewöhnlich mit lebenden Menschen befasst und einen Teil seiner Forschung dem Problem von Übergewicht bei palästinensischen Jugendlichen widmet, freut sich über die erneute Gelegenheit der Kooperation mit israelischen Forschern. "Gesundheit ist eine Brücke zum Frieden, denn es geht um ein gemeinsames menschliches Anliegen und nicht um kontroverse politische Themen."
Abdeen schließt nicht aus, dass die Zusammenarbeit zweier Universitäten in einem Konfliktgebiet die internationalen Finanziers großzügiger in die Tasche greifen lässt, wobei der professionelle Aspekt keine mindere Rolle spiele. "Um gute Ergebnisse zu erzielen, sind kollektive Anstrengungen erforderlich."
Die Institute in Ost- und Westjerusalem arbeiten seit Jahren in vielen Bereichen zusammen. An weiteren zehn israelisch-palästinensischen Projekten sind deutsche Institute beteiligt. Der Pathologe Nerlich sieht seine Aufgabe auch darin, zu moderieren, was jedoch bisher nicht nötig war, denn "die Zusammenarbeit funktioniert hervorragend".
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