„Stück in Privatwohnungen“ im Malersaal : Wirf ihn in den Fluss
Ein Mann kommt nach Jahren zurück nach Hause. Dort betreiben seine Mutter und seine Schwester eine Herberge. Vordergründig jedenfalls. Denn die beiden Frauen vergiften reiche Reisende, rauben sie aus und versenken die Leichen im nahen Fluss. Dieses Schicksal soll auch den unerkannten Sohn und Bruder ereilen. So nimmt Das Missverständnis von Albert Camus seinen Lauf – auch in der Produktion des Regieduos „Rekolonisation“, bestehend aus Monika Gintersdorfer und Jochen Dehn. In 17 Hamburger Wohnungen haben sie das Stück aufgeführt und gefilmt: im Asylbewerberheim, im Obdachlosentreff, in einer WG, in einer bürgerlichen Wohnung, mit wechselnder Besetzung.
Die Schauspieler kannten die Wohnungen nicht. Es gab keine Proben, eine Reisetasche war einziges Requisit. Im Patchworkverfahren haben die Macher aus dem Material ihren Film Stück in Privatwohnungen zusammengeschnitten, der jetzt im Malersaal Premiere hat. Darin läuft das Stück einmal durch. Je nach Spielort wechseln aber Requisiten, Besetzung, Publikum und Ausstattung. „Wir hatten mit den Bewohnern, also dem Publikum, einige Regeln vereinbart: Die ganze Wohnung durfte bespielt werden, fast alle Gegenstände durften einbezogen werden“, erzählt Jochen Dehn.
Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Im Asylbewerberheim haben zum Beispiel die Männer unaufgefordert mit angepackt, als die Leiche des Sohnes herausgetragen wurde. Eine Nachbarin an einem anderen Spielort dachte, es wäre wirklich ein Unglück geschehen, als der Sohn durchs Treppenhaus getragen wurde.
Verwirrung stiften könnte auch die wechselnde Besetzung. „Im Film werden Szenen aus unterschiedlichen Wohnungen zusammengeschnitten, und so spielt ein- und derselbe Schauspieler zum Beispiel zu Anfang den Bruder und später Gott“, schmunzelt Gintersdorfer.
Was passiert, wenn mit dem Alltäglichen gebrochen wird, wenn Sehgewohnheiten nicht mehr greifen, wenn der Privatraum plötzlich zur öffentlichen Bühne wird? Die Grenzen zwischen privat und öffentlich auszuloten, die Überraschungsmomente beim Übertritt sichtbar machen, das gehört zum Konzept von „Rekolonisation“.
„Uns ist aufgefallen, dass die Bewohner teilweise sehr berührt waren, wenn wir an ihre persönlichen Sachen rangegangen sind“, erzählt Jochen Dehn. Oder auch, wenn die Schauspieler sich plötzlich auf den Schoß eines Bewohners setzen. Als sie auf einer Party spielten, erwarteten die Leute, dass ihnen ein leicht konsumierbares Unterhaltungsprogramm geboten werde. Als das nicht zutraf, wollten sie lieber weiter feiern, als das Stück bis zum Ende auszuhalten. Katrin Jäger
Premiere: Do, 27.1., 20 Uhr, Malersaal des Schauspielhauses