Studentenwerke in NRW: Mobbing und Misswirtschaft
Köln, Bochum, Bonn, Paderborn - und jetzt Dortmund. Rainer Niebur ist der fünfte Geschäftsführer eines Studentenwerks, der gehen muss.
DORTMUND taz | Ob für das Käsebrötchen, den Kaffee oder nur für den Schokoriegel - die Dortmunder Studenten gehen tagtäglich ein und aus im Sonnendeck. Trotzdem bekam kaum jemand mit, was sich hier jahrelang, in der beliebten Campus-Cafeteria, hinter den Kulissen abspielte. Mobbing, Vetternwirtschaft und ständiger Personalmangel waren die Vorwürfe.
"Ich habe teilweise zehn bis zwölf Stunden gearbeitet", erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter. "Meine Kollegen und ich wurden extrem unter Druck gesetzt." Kurz bevor der Mitarbeiter seinen Posten im erstmalig gewählten Betriebsrat antreten konnte, wurde er entlassen - er bekam sogar vier Kündigungen, unter anderem wegen Betrugs und Diebstahls.
Der Absender war der damalige Geschäftsführer des Dortmunder Studentenwerks, Rainer Niebur. Er war gleichzeitig auch Geschäftsführer der D+S GmbH, eines Tochterunternehmens des Studentenwerks, das im Sonnendeck das Personal stellt.
Mehr als fünf Jahre schwelte der Konflikt im Dortmunder Studentenwerk, bei dem es um Misswirtschaft ging. Im Zentrum dieser Vorwürfe stand hauptsächlich Rainer Niebur, 15 Jahre lang war er Geschäftsführer des Studentenwerks. Ende 2010 musste er seinen Posten räumen.
Nach ähnlichen Fällen in Köln, Bochum, Bonn und Paderborn ist er damit bereits der fünfte Geschäftsführer der zwölf NRW-Studentenwerke, der gehen musste. "Das ist ein ausgesprochen hoher Schnitt", sagt Günther Remmel. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Studentenwerke Nordrhein-Westfalen und leitet das Dortmunder Studentenwerk vorerst kommissarisch. Für ihn heißt es nun, Frieden zu stiften - vor allem mit dem Personalrat. Dieser hatte jahrelang Nieburs Amtsführung kritisiert. Hauptstreitpunkt war dabei die D+S - Services, Events, Marketing GmbH, die Niebur in Personalunion leitete.
Für die Studenten ist das nicht unerheblich, da sie das Studentenwerk mit ihrem Sozialbeitrag von 68 Euro im Semester mitfinanzieren. Davon darf eigentlich nichts in ein privates Unternehmen wie die D+S GmbH fließen.
Seit 2004 dürfen NRW-Studentenwerke solche Tochterunternehmen gründen. "Sie sind als Ergänzung gedacht, damit Randbereiche der Studentenwerke besser genutzt werden können", erklärt Günther Remmel. In den meisten Fällen geht es dabei um den Sektor Reinigung. Übernimmt das Tochterunternehmen die Arbeit einer Fremdfirma, ergeben sich für das Studentenwerk steuerliche Vorteile. Voraussetzung ist laut Remmel allerdings eine saubere Trennung zwischen den Aufgabenbereichen des Studentenwerks als Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) und der GmbH. "Es muss sichergestellt sein, dass keine öffentlichen Mittel in die GmbH fließen und die Gemeinnützigkeit der AöR nicht gefährdet wird", so Remmel. "In Dortmund war die Trennung nicht deutlich genug."
Billige Tarife
Die GmbH stellte das Personal im Sonnendeck, einem Gastronomiebetrieb auf dem Dortmunder Campus. Die Angestellten wurden anders als in der AöR nicht nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes, sondern nach dem Tarif der NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) bezahlt. Die Produkte hingegen liefen weiter über das Studentenwerk. Darüber hinaus war der Betriebsleiter im Sonnendeck der Sohn von Nieburs Assistentin. Für den Personalrat war nicht nachvollziehbar, ob die Gewinne der D+S tatsächlich ordnungsgemäß an das Studentenwerk zurückgeführt wurden und ob nicht die Sozialbeiträge der Studenten oder auch öffentliche Gelder in die private GmbH flossen.
Mehreren Schreiben zufolge war dem Personalrat das Unternehmen deshalb ein Dorn im Auge. Dazu kamen die Arbeitsbedingungen: Die Mitarbeiter mussten jahrelang für Betriebsratswahlen kämpfen, die anschließend von Niebur angefochten wurden. Zudem seien unter Nieburs Amtsführung Mitarbeiter teilweise extrem gemobbt worden, so sein ehemaliger Stellvertreter Bernd Colditz.
Drei Mal kontaktierte der Personalrat die zuständige Aufsichtsbehörde, das nordrheinwestfälische Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung. Daraufhin nahm das Ministerium Gespräche mit Niebur auf, die mit seiner vorzeitigen Freistellung endeten.
Die nächsten zwei Jahre bekommt er nun seine vollen Bezüge. Auffallend im letzten Schreiben des Personalrats im Juli 2010 war vor allem eine Äußerung. Eine Mitarbeiterin des Ministeriums soll dem Personalrat gegenüber mündlich mitgeteilt haben, dass vier Geschäftsführer von Studentenwerken in Nordrhein-Westfalen bereits wegen Fehlverhaltens hätten gehen müssen; einen fünften Abgang könne man sich nicht erlauben.
Fremde Finanzierungen
Der letzte Fall lag tatsächlich erst drei Jahre zurück. Damals musste Johannes Freise, Geschäftsführer des Studentenwerkes Paderborn, seinen Hut nehmen. Im Zentrum der Konflikte stand auch damals ein Tochterunternehmen, die Tectum GmbH. Sie soll erhebliche finanzielle Schwierigkeiten gehabt haben, berichtete der Internetdienst News Paderborn. Der Hauptgrund war offenbar ein Campushotel, das zu 100 Prozent fremdfinanziert war. Johannes Freise soll weder die Studierenden noch die Öffentlichkeit über die Situation der GmbH informiert haben.
Ähnliche Fälle gab es in den Jahren 2006, 2000 und 1998 in Bonn, Bochum und Köln. Hauptsächlich ging es in allen Fällen um Misswirtschaft und fehlende Transparenz. Jedes Mal lief es auf eine einvernehmliche Trennung hinaus, die oft alle Beteiligten zum Stillschweigen verpflichtete. So auch in Bochum. René Voss, damaliger Studentenvertreter im Verwaltungsrat des Akademischen Förderungswerks, macht im Nachhinein neben dem damaligen Geschäftsführer Jürgen Graf auch den Verwaltungsrat und das Ministerium für die Vorgänge verantwortlich: "Der Verwaltungsrat hat zu wenig darauf geachtet, ob Graf wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen trifft, und hat viel zu wenig nachgefragt."
Das Ministerium wiederum hätte, als der Verwaltungsrat endlich aktiv wurde, regelmäßig dem Geschäftsführer geglaubt, ihm den Rücken gestärkt und so das Studentenwerk mit dem Rücken gegen die Wand gestellt. Erst als es absolut nicht mehr weiterging, hätte man dann die richtigen Entscheidungen getroffen. Das sei eine klare Parallele zum Studentenwerk in Dortmund. Nicht die einzige in diesen fünf Fällen.
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