Studenten protestieren gegen Umstrukturierung: Campus-Camping

Geistes- und Sozialwissenschaftler protestieren gegen das neue Studiensystem. "Die Autonomie von Forschung und Lehre gegenüber dem Kapital wiedergewinnen!" lautet ihre Parole

Zelten als Protestform. Hier ein G-8-Demonstrant in Rostock Bild: dpa

Was die Naturwissenschaftler der Humboldt-Universität in Berlin-Adlershof zu begrüßen scheinen - die Campus-Direktverwertung ihrer Arbeit und ihres Selbst durch das Kapital -, stößt bei den Geistes- und Sozialwissenschaftlern in Dahlem eher auf Unmut: In den vergangenen Wochen zelteten Studierende auf dem dortigen Campus der Freien Universität, um Mitstudenten, zumeist Betroffene der Bachelorumstellung, in Wort und Schrift auf "die Folgen von Umstrukturierungen" aufmerksam zu machen.

Dazu zählen uniinterne Bestrebungen, den Ausbau des Bachelor-Master-Studiensystems voranzutreiben: "Fachbereichskürzungen", die "Kanonisierung von Studieninhalten", das Beschneiden studentischer Grundrechte, wie die Wahl- und Versammlungsfreiheit von Studierenden, sowie die Pläne für Einschnitte im Bibliothekswesen durch Bibliothekszusammenlegungen. In Vorbereitung der Letzteren wurden bereits viele Bücher entsorgt - unter anderem landeten Bestände der soziologischen Bibliothek in Müllcontainern. Eine Fortsetzung dieser "Verschlankung" haben die Proteste der Studierenden aber vorerst verhindern können.

Wissenschaftlich interessierte Studenten bemängeln die Verschulung des Studiensystems. Wenn die studentischen Versammlungen nicht mehr gut besucht sind, dann liegt das auch an den Anwesenheitslisten in den Seminaren, deren rigide Handhabung wenigstens zum Teil die Dozenten zu verantworten haben, wie ein Rundschreiben von Professor Zeuner vom Otto-Suhr-Institut in Erinnerung brachte. Außerdem wenden sich die Studierenden gegen eine Bologna-orientierte PR, "die studiumbetreffende Tatsachen verdreht": So erinnerte ein Student daran, dass es "durch die Umstellung auf den BA/MA leichter geworden sei, Barrieren für den Abschluss eines vollgültigen Studiums zu errichten. Sie wirken wie ein zweiter Numerus clausus."

Eine Studentin wies darauf hin, dass das "Lockversprechen zur Zustimmung für den Bologna-Prozess" die "Erleichterung internationaler Anerkennung von Studienleistungen" gewesen sei. "Tatsächlich fällt es jedoch schon den drei Berliner Unis schwer, die Leistungen der jeweils anderen anzuerkennen." Die Studentin hält die internationale Anerkennungsfähigkeit mit Blick auf Schnelltests bis zu reinen Multiple-Choice-Klausuren statt Hausarbeiten, die ein Student benötigt, um später eine Abschlussarbeit verfassen zu können, für ein "bloßes Planspiel ohne Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse". Diese bestünden in "einer weitgehenden Dekonstruktion von Bildungsmaßstäben und Studienqualitäten - zur großen Zufriedenheit der höheren Institutsetagen, denn die Exzellenz-Gelder für die FU fließen nun mal in die Forschung und nicht in die Lehre".

Am 20. Mai wollten drei führende Grünen-Politiker im Rahmen ihrer "PR-Aktion ,Un(i)gerecht'" mit den FU-Studenten eine Talkshow veranstalten. Dies konnten die "Campus-Camper" verhindern. Sie begründeten ihre Störaktion damit, dass die Grünen in Hamburg sich im Gegensatz zur SPD und zur Linkspartei für die Beibehaltung der Studiengebühren ausgesprochen hatten. Und dass sie wegen einer 20-minütigen Besetzung der Hamburger Landesvertretung in Berlin durch Studenten eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt hatten.

Am 22. Mai unterbrachen die FU-Studenten ihr Campus-Camping, um gemeinsam mit etwa 5.000 Schülern gegen die Kürzungen im Berliner Bildungshaushalt zu protestieren. In seinem Redebeitrag begründete ein FU-Student die geringe Beteiligung seiner Kommilitonen an der Demo damit, dass "gerade Bachelor-Studenten durch die gestrafften Studienpläne derart überlastet sind, dass ihnen zur Reflexion ihrer eigenen Situation und zum Kampf gegen die Beschneidung ihrer Rechte schlicht die Zeit nicht bleibt". Dies zeige, dass das BA/MA-System bereits besser funktioniere als befürchtet. Dem Campus-Camping folgte eine Aktionswoche, in der folgende "Kampfziele" aufgestellt wurden: Gefordert wird der Rücktritt von FU-Präsident Dieter Lenzen, die studentische Viertelparität in allen universitären Gremien, eine kostenfreie Bildung mit breitem Zugang, also eine gesetzliche Wiederverankerung des Studiengebührenverbots sowie eine Korrektur von Entscheidungen zum Numerus clausus der zweiten Ebene (Master-NC).

Die Studierenden wollen eine Re-Fakultativierung des Studiums (Flexibilisierung der Studienverlaufspläne). Verlangt wird zudem eine deutlichere "Trennung von Wirtschaft und Wissenschaft, damit insbesondere keine Scheuklappenwissenschaft durch Drittmittelorientierung" entsteht. Mit der Forderung nach Abschaffung von "mit Wirtschaftsvertreter bestückten wissenschaftlichen Beiräten" wird der derzeit in Dahlem grassierende Etikettenschwindel beim Namen genannt. Pläne zu "Public-Private-Partnerships", die derzeit an der FU mit dem Klett-Verlag zur Gründung einer Privatuniversität auf dem Campus reifen, werden entschieden abgelehnt. Außerdem wird gefordert: "Keine Werbung und keine Shops an der Uni".

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