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Streit um Kinderheim in der IdylleHaus im Grünen im roten Bereich

Im Stadtteil Sasel kämpft eine Bürgerinitiative gegen das Vorhaben der Großstadt-Mission, in einem Wohnhaus schwer erziehbare Kinder unterzubringen.

Ruhige Oase Sasel: Wenn es nach den Anwohnern im Heideknick geht, soll das auch so bleiben. Bild: Timo Robben

Die Straße Heideknick beginnt mit einem rechteckigen, rot-weiß gestreiften Warnschild. Es markiert eine Ausbuchtung, die Autos zum Langsamfahren zwingt. In Sasel kann es gar nicht langsam genug gehen. Wenn es nur ginge, würde man hier, im Nordosten Hamburgs, gleich die Zeit anhalten. Oder besser noch: zurückdrehen.

Und jetzt das: Die Hamburger Großstadt-Mission möchte ein Wohnprojekt am Heideknick einrichten. Sechs bis zehn schwer erziehbare Kinder zwischen vier und 14 Jahren sollen hier in ein leer stehendes Haus ziehen. Rund 15 Räume und ein großer, grüner Garten sind offenbar das richtige Umfeld.

Leider steht das Haus nicht nur im Grünen, sondern auch im roten Bereich: Der Heideknick ist Teil eines geschützten Baugebiets. Anwohner haben sofort eine Petition unterschrieben, die die Umnutzung und damit das Wohnprojekt verhindern soll.

„Ich finde gerade in einer so schnelllebigen Welt wie heute braucht man noch einen Ort, an dem man auftanken kann“, sagt Barbara Heidenreich. Die 57-Jährige wohnt direkt gegenüber. Karin Syring sitzt mit am Kaffeetisch. Die beiden sind Teil der „Bürgerinitiative Alstertal – für den Erhalt unserer Wohngebiete“. Sie wollen nicht, dass die Großstadtmission hier ein Umnutzungsrecht durchsetzt.

Die Großstadt-Mission

Die Großstadt-Mission Hamburg-Altona e.V. ist ein christlicher Träger der Jugend- und Behindertenhilfe unter dem Dach der Diakonie.

Der Verein geht zurück auf die 1911 nach dem Selbstmord einer jungen Frau in der Alster gegründete "Stiftung Frauenkolonie" in Prisdorf bei Pinneberg, wo die Großstadt-Mission heute 40 behinderte Menschen in vier Wohngruppen betreut.

Sozialpädagogische Familienhilfe bietet die Großstadt-Mission seit 1991 an.

Pflegeelternberatung leistet der Verein seit 2004.

Im pädagogischen Konzept heißt es: "Hier ist jedes Individuum ein Geschöpf Gottes, das unabhängig von Leistung und Status seinen einmaligen Wert hat."

Heidenreich und Syring haben zwei dicke Ordner angelegt, in denen sie immer wieder blättern. „In der Bauordnung stehen ganz klare Vorschriften“, sagt Heidenreich. „Wenn wir hier eine Ausnahme zu lassen, dann öffnet das die Türen für weitere Projekte.“ Sie serviert Erdbeerkuchen.

Die Bauordnung stammt aus den 1930er Jahren, als Sasel noch als zweites Standbein für die Arbeiter Hamburgs diente. Hier konnten sie Gemüse anbauen und Tiere halten. Überall standen kleine Siedlerhäuser. Hamburg beschloss, dass hier keine Gewerbetreibenden Platz finden sollten. Sasel sollte ein reines Wohngebiet sein.

Thomas Jeutner ist einer der Gegenspieler der Bürgerinitiative. Der 51-Jährige ist der evangelische Gemeindepastor. Er hat seine Muskeln spielen lassen, als er hörte, dass die Bewohner des Heideknicks das Wohnprojekt nicht wollen. Zusammen mit anderen Kirchenmitgliedern hat er ebenfalls eine Petition eingereicht: für das Projekt. Der langjährige Journalist weiß, wie er sein Anliegen verkaufen muss.

„Ich zeige Ihnen mal ein Siedlerhaus“, sagt er und macht sich auf den Weg entlang des Heideknicks. Er ist ein moderner Kirchenmann: Der Familienvater trägt Jeans, eine Outdoor-Jacke und einen bunten Schal, sein Handy klingelt ständig. Wie 51 sieht er nicht aus. Es geht vorbei an zahlreichen Baustellen. Neue Wohnhäuser entstehen überall am Heideknick. Strahlend weiße Klötze – offenbar alle vom gleichen Architekten.

Langsam und überlegt sagt Jeutner Sachen wie: „Wir beziehen Position. Wir schlagen uns auf die Seite der Schwächsten der Gesellschaft.“ Oder: „Es gibt Zeiten ohne Konsens. Hier steht Meinung gegen Meinung.“

Ein Argument der Gegenseite ist der Wertverlust durch die Nutzungsänderung. Die Bürgerinitiative befürchtet, dass die Häuser an Wert verlieren, wenn der Heideknick den Status als reines Wohngebiet verliert. Jeutner hat dafür beim besten Willen kein Verständnis. „Ich höre es, ich versuche, zu verstehen. Aber richtig verstehen kann ich es nicht“, sagt er.

Andreas Weber kann sehr gut verstehen. Er weiß um die Probleme. Der pädagogische Vorstand der Großstadt-Mission hat versucht, die Anwohner vor vollendete Tatsachen zu stellen, um sich den Ärger zu ersparen. Es sei alles ein wenig paradox, sagt er. „Eigentlich ist die Änderung des Baurechts gar nicht notwendig, weil es ja ein Wohnprojekt und kein Gewerbe ist“, sagt er.

Trotzdem stellte die Großstadt-Mission schon im Januar den Umnutzungsantrag, um alle erdenklichen Probleme von Anfang an aus dem Weg zu räumen. „Aber ein, zwei Tage vor der Entscheidung des Bauausschusses haben die Bewohner das mitbekommen.“

In die öffentliche Sitzung des Bauausschusses kamen dann, mobilisiert durch eine Flugblattaktion der Bürgerinitiative, rund 100 Saseler. Die Verwaltung vertagte den Beschluss. Beide Seiten reichten daraufhin ihre Petitionen beim Eingabeausschuss der Bürgerschaft ein. Die Entscheidung über das Wohnprojekt soll am 15. Juni fallen. Die Bürgerinitiative droht, eine Sammelklage einzureichen, wenn die Entscheidung nicht zu ihren Gunsten ausfällt.

André Schneider sitzt im Bauausschuss. Der 39-jährige Abgeordnete der SPD in der Wandsbeker Bezirksversammlung glaubt zu wissen, warum die Bürger am Heideknick so verunsichert sind. „Die haben Angst vor Dingen, die sie nicht kennen“, sagt er. Die Politik der Großstadtmission sei nicht förderlich gewesen. „Das hätte anders laufen müssen. Die Großstadtmission hätte vorab die Anwohner informieren sollen.“ Ihm sei daran gelegen, die Gräben nicht noch weiter zu vertiefen.

Karin Syring ist auf Schneider nicht gut zu sprechen: „André Schneider hat gesagt … wie war das noch gleich? ’Frau Heidenreich, ich schäme mich für Sie.‘“ Heidenreich blickt kurz aus ihrem Ordner hoch und nickt. Und das ist noch nicht alles. „Zu uns sind Nachbarn gekommen, die gerade aus dem Gottesdienst kamen. Diese haben uns erzählt, dass die Kirche gegen die Anwohner vom Heideknick hetzt“, sagt Heidenreich. Sie steht auf, um Kaffee nachzuschenken.

Auch Karin Syring sieht sich als Opfer kirchlicher Willkür. Ihre Nachbarin habe einen Brief zum 50. Geburtstag von Pastor Jeutner bekommen. „Das kann ich hier ja mal nebenbei sagen. Ich habe keinen Brief zu meinem 50. Geburtstag bekommen“, sagt sie leise, beugt sich über den Tisch und nickt langsam. Der Graben zwischen der Kirche und der Initiative ist tief.

Thomas Jeutner weist all diese Vorwürfe von sich. Er ist inzwischen am Ende des Heideknicks angekommen. Der Pastor hat die ganze Geschichte der Wohngegend erzählt und immer wieder auf die Baustellen gezeigt. Ein Siedlerhaus war nicht zu sehen. „Ich dachte, ich würde hier ein Originales finden. Ich habe keins gesehen. Sie?“ Nein. Die Zeit lässt sich nun mal nicht anhalten.

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2 Kommentare

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  • RB
    Rüdiger Bäcker

    Zunächst einmal ein großes Kompliment an den Autor. Solche gut austarierten Artikel sind es, die mich als Leser informieren und eine eigene Positionsnahme fordern. Das erlebe ich ( leider) nur beim Lesen der Nord - TAZ. -

    Hamburg ist eine Stadt der Zumutungen geworden. Diese aller Orten anzutreffenden Zumutungen sind Indiz für sozialen Verfall und Entsolidarisierung. Ich frage mich zugleich, was sich Institutionen wie die Großstadtmission denken mögen, wenn sie ohne Not Probleme in ein bürgerliches Umfeld hineintragen? Erwartet man bei den Betroffenen etwa Hosiannarufe? Es war doch vorhersehbar, dass die Betroffenen unter Zuhilfenahme der Bauordnung dieses Projekt zu vereiteln versuchen? Und wo bleibt eigentlich das Kindeswohl, wenn eine Institution ihr anvertraute " schwierige " Kinder und Jugendliche in ein Wohnumfeld zwängt, welches sie weder freundlich noch nachbarschaftlich empfangen wird? Das Wandsbeker Jugendamt macht erwartungsgemäß mal wieder Daddeldu? Wer denkt sich solche Knallerprojekte zu Lasten der Anrainer und der leidenden Kinder nur aus? Über den ev. Pastor sollte man als Hanseat Schweigen. Das Neue Testament sollte man aber schon kennen, bevor man in einer friedlichen Nachbarschaft mit Gewalt Unfrieden stiftet, denn dort ist für alle Christen, die Rede von der Friedenspflicht, die viel weiter geht, als nur zu erdulden, was Andere bestimmen. Geradezu entlarvend die Äußerung, " leider " hätten die Anwohner von den Plänen erfahren, um danach ihre Rechte im Bauausschuß geltend zu machen? Es ist für solche Stichwortgeber sicher zutiefst bedauerlich, dass Menschen hierzulande auch Rechte haben ? Was haben solche Knallchargen in demokratischen Gremien eines sozialen Rechtsstaates verloren ? Hamburg ist eben eine Stadt der großen Zumutungen. Und dies auf allen Ebenen der Hamburger Gesellschaft. Besserung ist leider nicht in Sicht.

  • WR
    Weiße Rose

    Der Hamburger Pöbel sollte sich was schämen, feinen Leuten in Sasel einen Haufen asoziale Kinder unterjubeln zu wollen!

    Ein Blick nach Rio und anderen Städten könnte bei der Orientierung helfen, dort hält man sich das Gesocks mit Mauern um die besseren Stadtteile vom Halse!