Streit der Woche geschlossene Kinderheime: „Kinderknäste funktionieren nicht“
Linke-Politikerin Ulla Jelpke will keine Erziehung hinter Stacheldraht. In Notfällen ist Polizeigewerkschafter Rainer Wendt dafür.
Das Sommerloch werde zu einer populistischen Debatte genutzt, schreibt Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, im Streit der Woche der sonntaz. Sie sieht in den geforderten Mitteln „Schutzhaft-Konzepte“. Empört ist sie darüber, dass „festungsähnliche Kinderheime finanziert werden sollen, statt Jugendämter und Sozialarbeit zu stärken.“
Politiker wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordern, straffällig gewordene Kinder unter 14 Jahren ihrem Umfeld zu entziehen und in geschlossene Heime zu sperren. So solle eine Gesetzeslücke geschlossen werden, in der Kinder dem Jugendstrafvollzug entgehen würden. Experten warnen jedoch davor, traumatisierte Kinder wegzusperren.
Das Problem werde für das Kind nur verschärft, meint Monika Tschapek-Günter, die Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder. In der Forderung nach geschlossenen Heimen sieht sie eine „Bankrotterklärung von Politik und Erziehungswesen“. Stattdessen sollen präventive Maßnahmen in Schulen und Familien eine Ausgrenzung verhindern. „Kinder werden kriminell, weil ihre Hilfeschreie ungehört verhallt sind“, schreibt sie in der sonntaz.
Dieser Text stammt aus der aktuellen sonntaz vom 7./8. August 2010 -ab Samstag mit der taz am Kiosk oder direkt in ihrem Briefkasten.
Veronika Furtwängler, Heimerzieherin im Jugendhilfezentrum St. Anton, setzt auf individuelle Hilfe durch verhaltenstherapeutische Programme. Sie sei für eine Unterbringung im geschlossenen Heim, sofern Kinder mit ihren Straftaten andere oder sich gefährden. „Aber auch, wenn Eltern ihren erzieherischen Einfluss weitgehend verloren haben.“ Sie verweist in der sonntaz auf eine Studie über die geschlossene Heimunterbringung: „Betroffene Kinder und Jugendliche haben diese überwiegend positiv beurteilt."
Der Vositzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt findet es durchaus sinnvoll, schwierige Kinder notfalls gegen ihren Willen und den ihrer Eltern in staatliche Obhut zu nehmen. „Gesellschaftliche Integration ist hier meist gescheitert“, schreibt er im Streit der Woche. Grund sei der mangelnde Erziehungswille oder die völlige Erziehungsunfähigkeit der Eltern. Daher müssten sich qualifizierte Pädagogen um diese Kinder kümmern. „Straffälligkeit von Kindern muss sich nicht zu einer kriminellen Karriere entwickeln“, schreibt Wendt.
Im Streit der Woche äußern sich zudem Christian Pfeiffer, Direktor desm Kriminologischen Instituts Niedersachsen, Sascha Vogt, Bundesvorsitzender der Jusos und taz-Leser Sascha Morr.
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