■ Straßmanns kleine Warenkunde: Das TIP TOP Fahrradflickzeug
Die einen finden's lästig, die anderen bedrohlich, nur ich: Ich jubele, wenn mein Fahrrad einen Platten hat. Dann beschleunigt sich mein Puls, dann fließt mir das Wasser im Mund zusammen, und eine tiefe innere Erregung bemächtigt sich meiner. Das liegt am Flickzeug.
Schon das Wort läßt mein Herz hüpfen. Gibt es in unserer Zunge ein deutscheres Wort, das zugleich ganz und gar unbedrohlich, ja tröstlich und heilsam klingt? Möchte man nicht am ganzen Körper von Flickzeug bedeckt sein, in Flickzeug schlafen, leben?
Das Fahrrad-Flickzeug heißt von Alters her „Rema TIP TOP“, wirbt mit dem sublimen Aufdruck „Original Vulcanisation“ und ist ein Mikrokosmos. Die Dose ist in rostbraun und türkis gehalten, man könnte sagen: in der ersten und der letzten Farbe. Rostbraun ist der erste Schimmer, der zum Fötus in die Gebärmutter dringt. Türkis sind die Pforten des Himmelsreichs (Offb. 19,9).
In der Dose finden sich die eigentümlichen Werkzeuge, die der von Paradoxien durchsetzte Prozeß des Flickens erfordert.
Mit dem martialischen blechernen Schabgerät muß zunächst die Oberfläche des löchrigen Schlauchs in weiten Umkreis ums Loch aufgewühlt und umgepflügt werden, um dann die geheimnisvolle Vulkanisierflüssigkeit aufzunehmen. Die wiederum klebt obskurerweise nur, wenn sie trocken ist. Schließlich werden die steril verpackten, magisch gezackten Gummipflaster aufgelegt, und dann ist das Wunder perfekt.
Ein letztes Rätsel bleibt vorerst, warum die Magie des Flickzeugs so zuverlässig bei allen Radfahrern weiblichen Geschlechts versagt, so daß man sagen kann: Nie wurde eine Frau beim Fahrradflicken gesehen. Für mein Dafürhalten ein peinliches Desiderat der Frauenforschung!
Burkhard Straßmann
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen