Stimme meiner Generation : Lasst mich rein!
Unsere taz-FUTURZWEI-Kolumnistin Ruth Fuentes ist in Lateinamerika on the road. An der Grenze zwischen Peru und Bolivien wird sie zur Europäerin.
taz FUTURZWEI | Was den peruanischen Grenzverlauf angeht, muss ich zugeben, dass mich der bis vor wenigen Tagen recht wenig interessiert hat. Bis jetzt, wo mich ein uniformierter Mann am Grenzschalter böse anschaut. So wie vermeintliche Autoritätspersonen eben schauen, wenn sie denken, dass man ihnen nicht genug Respekt entgegenbringt.
„Denken Sie, Sie können einfach über die peruanische Grenze spotten? Sie umgehen, wie es Ihnen beliebt?“, knurrt er.
Arsen und ich sind seit einigen Wochen in Lateinamerika unterwegs. Der Plan: von Peru quer durch den Kontinent nach Buenos Aires zu reisen. Wie Che Guevara damals. Oder so ähnlich. Im Moment hängen wir aber an der Grenze zu Bolivien fest. Und zwar schon seit mehreren Stunden. Es ist mittlerweile Mittag und die Sonne prallt auf uns herab.
Außerdem stinkt es, weil hier in Desaguadero ein Fluss voller Müll und Abwasser in den Titicacasee mündet. Und entlang dieses Flusses verläuft auch die streng bewachte Grenze. Hunderte von Menschen stehen in der Schlange, um nach drei Stunden Wartezeit in dem engen, stickigen „Büro für Migration“ (hoffentlich) ihren Stempel zu bekommen. So wie wir.

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
„Hat was vom Schlangestehen vorm Club, da weiß man auch nicht immer, ob man reinkommt“, sage ich.
„Aber halt ohne den Spaß“, sagt Arsen.
Das Problem
Unsere Rucksäcke stehen schon in La Paz in unserer Unterkunft, denn wir sind auch schon in der bolivianischen Hauptstadt gewesen. Aber (ungewollt) illegal eben.
Ich erzähle dem Grenzbeamten also zum dritten Mal, dass wir an einem anderen Grenzübergang rüber gefahren seien, dass die Frau, die den „bewacht“ hat, uns einfach habe passieren lassen. Dass ich aber nun extra von La Paz an diesen offiziellen Grenzposten von Desaguadero zurück gefahren bin, um mir den offiziellen bolivianischen Einreisestempel zu holen. Und dass ich dafür aber zunächst noch einen peruanische Ausreisestempel brauche.
Dass wir mit dem in Peru gekauften Motorrad rübergefahren sind und die Grenzfrau dafür 10 Soles, also 3 Euro, von uns verlangt hat, verschweige ich lieber… Ich weiß, dass wir mit Motorrad ganz sicher nicht durchgelassen worden wären, aus Zollgründen. So jedenfalls die Vorschrift von oben.
Mein Grenzbeamter grummelt nur und muss sich mit seinem Kollegen besprechen. Dieser erklärt gerade einem Vater mit Kind, dass dieses – weil minderjährig – leider nur in Begleitung der Mutter die Grenze passieren darf. Oder mit einem Wisch vom Notar, schwarze Schrift auf rotem Papier, bitte. Der Vater nickt und geht wieder. Hinterfragt wird nichts.
Grenz-Meditation
Ich versuche innerlich zu meditieren. Sie müssen uns durchlassen, sage ich mir. Was wäre die Alternative? Ich muss einfach nur Geduld haben. Geduldig atmen und warten. Es ist ja jetzt auch nicht das erste Mal, dass ich eine Grenze außerhalb der EU passiere, aber meistens war das dann ganz privilegiert am Flughafen und eben nicht zu Fuß irgendwo auf fast 4.000 Meter Höhe.
Ich muss daran denken, wie mein Vater, wenn wir von Deutschland mit dem Auto zur Familie meiner Mutter nach Spanien gefahren sind, immer erklärt hat, wie einfach das jetzt sei: „Du kannst dir das als EU-Kind nicht vorstellen, wie das damals war. An jeder Grenze gab es Kontrollen, musste man Papiere vorzeigen, … Heute gibt's das ja nicht mehr…“
„Na ja, vielleicht kommt’s ja wieder…“, antworte ich ihm gedanklich 20 Jahre später. Und finde die Vorstellung, dass es in Europa auch so aussehen könnte wie hier plötzlich so absurd, dass ich lachen muss. Der Grenzbeamte schaut mich finster an, wahrscheinlich denkt er wieder, ich spotte über „sein Land“.
Dabei will ich doch eigentlich nur raus aus diesem Land und weiterreisen. Ich sage lieber nichts. Obwohl ich eigentlich so viele Fragen hätte. Vor allem: warum? Warum macht man es der eigenen Bevölkerung so schwer? Warum misstrauen die südamerikanischen Länder sich so sehr statt sich zusammenzuschließen? Warum dieses autoritäre Gehabe?
Und warum gibt es dann gleichzeitig irgendwelche Grenzübergänge, an denen eine alte Frau in traditioneller Andentracht sitzt und eine für wenig Geld passieren lässt? Warum den legalen Handelsweg so erschweren, dass es die illegalen nur fördert?
„So will es das Gesetz, wir erfüllen nur unsere Pflicht“, sagt er grimmige Grenzbeamte als habe er meine Gedanken gehört. Und stempelt dann den Pass. Endlich.
Die letzte Hürde
Wir müssen uns dann aber gleich nochmal anstellen. Auf der bolivianischen Seite diesmal. Wieder zwei Stunden in der Hitze warten. Wir kaufen uns für ein paar Soles eine Flasche Wasser und ein paar Kekse von einem Kind, das die Schlange entlangläuft und „Wasser, Kekse, Wasser,…“ ruft.
Dann sind wir endlich dran. Der bolivianische Grenzbeamte, der uns heute Morgen erklärt hat, dass wir ohne peruanischen Ausreisestempel unter keinen Umständen den bolivianischen Einreisestempel bekämen, schaut auf meinen Pass. Dann schaut er mich völlig indifferent an: „Das ist der falsche Stempel.“ „Ja, aber ihr Kollege meinte, damit komme ich durch…“ „Der Peruaner ist nicht mein Kollege“, antwortet er nur und schickt uns zurück.
„Der hat absichtlich falsch gestempelt“, sage ich. „So ein Arschloch!“, sagt Arsen.
Zurück zur Schlange vor dem peruanischen Migrationsbüro, die in der Zwischenzeit keinen Meter kürzer geworden ist.
Ich atme tief durch – soweit das auf 4.000 Metern Höhe möglich ist.
Noch nie war mir so bewusst, wie in diesem Moment, welche Vorteile es hat, als Kind der Europäischen Union durch Europa zu reisen.
🐾 „Stimme meiner Generation“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von Aron Bocks und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für unser Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber hinaus.
🐾 Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°32 mit dem Titelthema „Wozu Kinder“ gibt es jetzt im taz Shop.