piwik no script img

Steuern erhöhen oder Renten kürzen Lasst die Mütter in Ruhe!

Die Bundesrepublik braucht Geld für neue Aufgaben. Kürzung der Mütterrente und Abschaffung von Bürgergeld sind aber schlechte Ideen. Ein Gegenvorschlag von Udo Knapp.

Care-Arbeit ist keine Leistung? Auch die Mütterrente wird in Frage gestellt. Foto: Foto: Uli Deck/picture alliance/dpa

taz FUTURZWEI | Schon wieder hat der Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 ein Loch, diesmal sind es laut Finanzminister Lindner 5 Milliarden Euro, andere gehen von einer deutlich höheren Summe aus. Gehen wir es mal grundsätzlich durch. Corona, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die Wiederaufrüstung der Bundeswehr und die Klimakrise erfordern – unabweisbar – höhere öffentliche Ausgaben. Diese zusätzlichen Ausgaben könnten durch höhere Einnahmen, sprich höhere Steuern und Abgaben, mit höheren Krediten und der Aufhebung der Schuldenbremse oder durch Kürzungen bei anderen Ausgaben abgedeckt werden.

Der Reihe nach. Höhere Steuern? Ja bitte, wird gern gesagt, aber nur bei den ganz Wohlhabenden. Obwohl bekannt ist, dass eine Reichensteuer die Staatseinnahmen nur unwesentlich steigern würde. Die durchschnittliche Abgabenquote in der Republik beträgt bei einem Bruttoeinkommen von 24.000 Euro 40 Prozent, bei einem Einkommen von 80.000 Euro steigt sie auf über 50 Prozent, bei Einkommen über 100.000 Euro sinkt sie wieder. Die durchschnittlichen Einkommensbezieher finanzieren mit ihren Steuern den Staat. Höhere Steuern führen nur dann zu höheren Staatseinnahmen, wenn sie für alle erhöht werden, natürlich linear zu deren Einkommen. Das traut sich aber niemand.

Eine höhere Kreditaufnahme der Exekutive – weg mit der Schuldenbremse? Schulden machen für das ungestörte Wohlleben der Erwachsenen heute auf Kosten der Gestaltungsmacht der Enkelkinder? Das sei Propaganda, so SPD und Grüne. Wenn die Wirtschaft wegen der subventionierten Investitionen wieder brumme, sprudelten die Steuereinnahmen und lösten sich die Schulden in Luft auf. Wirklich? Politik mit ungedeckten Schecks? Was später daraus folgt, schert heute nicht, die Enkel werden damit schon zurechtkommen.

Moralisch und verlogen

Einsparungen, Kürzungen in allen Feldern der Politik, außer im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit; nur so viel ausgeben, wie mit Steuern eingebracht wird – dazu sagen erstmal alle: Na klar. Aber wenn deutlich wird, wer abgeben soll, schreien die Betroffenen auf: Bei mir geht das aber nicht und bei mir besonders am Herzen liegenden Gruppen auch nicht. Hier wird die Programmatik der Parteien zur roten Linie, die unter keinen Umständen gerissen werden darf. Jetzt wird's moralisch oder einfach nur verlogen.

CDU und FDP verlangen, dass angeblich arbeitsunwillige Bezieher von Bürgergeld überhaupt keine Unterstützung mehr bekommen. Dabei ist bekannt: Die Mehrheit der Bürgergeld-Bezieher sind Aufstocker. Leute, vor allem alleinerziehende Frauen, die mit ihrem Einkommen ihre Alltagskosten, steigende Mieten, Kindergartengebühren und anderes nicht mehr decken können. Ihnen bliebe ohne Bürgergeld nichts anderes als Hilfe zum Lebensunterhalt zu beantragen, also Sozialhilfe - nur ein Beispiel für das Hin- und Herschieben von Kosten der Daseinsvorsorge. Ergebnis: Einsparungen für den Gesamthaushalt gleich null, die politische Debatte gewonnen, die gesellschaftliche Spaltung aber vertieft.

Finanzminister Lindner hat vorgeschlagen, den Nachhaltigkeitsfaktor abzuschaffen, also die jährliche Anpassung der Renten an die je wirtschaftlichen und demographischen Verhältnisse, was in der Regel zu moderaten Rentensteigerungen führt. Faktisch bedeutete das also, die Renten zu kürzen

Die aktuelle taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI – das Magazin, Ausgabe N°29: Kann der Westen weg? – Über den Zerfall einer Weltordnung

Europa und Nordamerika haben viel vorangebracht und einiges verbockt. Nun geht es so nicht mehr weiter. Aber wie dann? Es kann schon morgen oder übermorgen vorbei sein mit dem Westen.

Diesmal im Heft: Maja Göpel, Joschka Fischer, Dana Giesecke, Jürgen Habermas, Wolf Lotter, Luisa Neubauer, Jörg Metelmann, Marcus Mittermeier, Ella Müller und Harald Welzer. Veröffentlichungsdatum: 11. Juni 2024.

Jetzt im taz Shop bestellen

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise der Bundesregierung, hat vorgeschlagen, die 2014 eingeführte und 2019 erweiterte Mütterrente zu überdenken. Alle Mütter erhalten heute für vor 1992 geborene Kinder zusätzlich zu ihrer selbst erarbeiteten Rente 2,5 Rentenpunkte, alle Mütter der nach 1992 geborenen Kinder 3 Rentenpunkte. Pro Kind bedeutet das für die Mütter etwa 120 Euro Rente zusätzlich im Monat. Nur zur Einordnung: Die Durchschnittsrente aller Frauen in der Bundesrepublik betrug 2022 genau 1072 Euro, das heißt, die große Menge der Renten von Frauen liegt weit darunter. Die Mehrheit der Frauen erreichen die 45 Jahre Arbeitszeit für einen Bezug der vollen Durchschnittsrente nicht.

Sollen unter diesen Umständen wirklich Mütter mit der Kürzung ihrer Renten das bundesdeutsche Haushaltsdefizit finanzieren? Nur ein Hinweis: Die Geburtenrate in der Bundesrepublik ist 2023 auf 1,1 Kind pro Frau gefallen. Wen wundert das?

Wo also sollen die fehlenden Milliarden für den Haushalt 2025 herkommen?

Subventionen streichen!

Keine der Parteien hat eine Idee, wie die gegenseitige Blockade aufgehoben werden könnte und in eine gemeinsamen Anstrengung der ganzen Gesellschaft münden mit Steuererhöhungen für alle, ohne zusätzliche Kredite und mit zumutbaren Einschnitten ins Sicherheitsnetz des Sozialstaates. Spielräume dafür gibt es sowohl bei der Exekutive als auch bei den Bürgern.

Die Regierung könnte mit dem Streichen einiger Subventionen vorangehen. Die Subvention des Diesels könnte ersatzlos gestrichen werden – das würde den öffentlichen Haushalten jährlich 23,5 Milliarden Euro einbringen. Die 6,45 Milliarden Euro, die als Flächenprämie jährlich an Agrarbetriebe gezahlt werden, unabhängig von ihren Erträgen, gezahlt könnten ersatzlos wegfallen. Zumal diese Betriebe in immer größerer Zahl Finanz-Investoren gehören und die Subventionen direkt zu ihnen abfließen. Diese Subventionen für milliardenstarke Unternehmen im Investitionswettlauf mit den USA beim Umbau ins nachfossile Wirtschaften bedienen vor allem Mitnahme-Interessen. Die notwendige Transformation würden die Unternehmen auch aus eigener Kraft stemmen.

Weiter könnte die Bundesregierung durch einen vorläufigen, mehrjährigen Verzicht auf den Ausbau der Autobahnen gewaltige Einsparungen realisieren. Stattdessen sollen 2025 die Ausbauausgaben für die Autobahnen um 500 Millionen auf 13.5 Milliarden Euro erhöht werden.

Die Bürger – jetzt bitte nicht gleich aufregen – könnten sich an einer solchen Haushaltssicherung durch einen eigenen Beitrag beteiligen, etwa durch das Anheben des Renteneintrittsalters für alle auf 72 Jahre, die Reduktion des Jahresurlaubs von jetzt in der Regel 30 Tagen pro Jahr und ähnlichem.

Mit den auf diesen Wegen erzielten, höheren Steuereinnahmen könnte nicht nur das Defizit aufgelöst werden, sondern sogar strukturpolitische Verbesserungen im sozialen Gefüge der Republik finanziert. Beispiel: Ein für alle Dreijährigen pflichtigen, prinzipiell kostenfreien Kindergarten und ein kostenfreies, biologisches Schulessen in allen Schulen.

Eine solche, von Bürgern und Staat gemeinsam getragene Finanz-, Haushalts- und Strukturpolitik jenseits der langweiligen, ideologischen Konfliktlinien aller Parteien wäre doch einen politischen Versuch wert – oder?

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.