Stasi auf der Bühne: "Mein Trauma ist nicht restlos aufgearbeitet"
Das Theaterstück "Akte R" schildert die Geschichte Mario Rölligs, der mehr als zehn Jahre nach seiner Haft im Stasi-Knast wieder seinem Vernehmer begegnet. Doch statt sich zu entschuldigen, beschimpft dieser Röllig.
taz: Herr Röllig, mit "Akte R" wird Ihre Geschichte über Ihre Haft im Stasi-Knast und die Zeit danach auf der Bühne gezeigt. Wie beurteilen die Zuschauer das Stück?
Mario Röllig: Die Reaktionen sind fast ausnahmslos positiv. In das Besucherbuch schrieb etwa eine Familie ganz groß: "Ja, so war es."
Wer schaut sich denn das Stück an?
Neben Jugendlichen in der Vormittags- und Erwachsenen in der Abendvorstellung auch einige Herren, die mitschreiben, vermutlich ehemalige Mitarbeiter der Stasi oder unbelehrbare Funktionsträger des SED-Regimes.
Unbelehrbar war auch Ihr ehemaliger Vernehmer aus dem Hohenschönhausener Knast, dem Sie 1999 zufällig wieder begegneten - eine der tragenden Szenen des Stücks.
Diese Wiederbegegnung war ein Tiefschlag, sie hat mich völlig aus meinem normalen, gut funktionierenden Leben gerissen. Ich dachte, der entschuldigt sich jetzt. Aber er fing an, mich zu beschimpfen - in der vollen Feinschmecker-Etage des KaDeWe!
Wie haben Sie reagiert?
Ich bin zusammengebrochen; später habe ich versucht, mir das Leben zu nehmen. Im Stück passiert das am selben Abend, real war es einige Monate danach.
Nicht jeder würde daraus ein Theaterstück machen lassen.
Grundsätzlich bin ich heute tatsächlich sehr misstrauisch, aber Regisseur Mirko Böttcher hat mich mit seiner Begeisterung angesteckt. In dem Stück kommen auch Schwächen von mir zum Vorschein: Ich werde nicht als Widerstandskämpfer dargestellt, so wie man sich selbst gern sehen würde, als Gutmensch, als Starker. Diese Authentizität und Ehrlichkeit in den Interviews, die zu "Akte R" führten, machen den recht großen Erfolg des Stücks aus. Es ist eben kein Agitations-Propaganda-Stück, keine Anklage - sondern es wird unangreifbar als Erlebnisbericht.
Fiktive Erlebnisberichte wie etwa der Kinofilm "Das Leben der Anderen" sind derzeit sehr erfolgreich. Was halten Sie von solchen Formaten?
"Das Leben der Anderen" endet mit der Wendung vom bösen zum guten Stasi-Mann, der Zeitungen verkaufen muss, weil er keine gute Rente hat. Die Realität sieht völlig anders aus, die jüngeren Stasi-Mitarbeiter sind nach der Wende alle auf die Beine gefallen. Deshalb fanden ich und viele tausende andere Opfer des Regimes diesen Film so schrecklich - obwohl er der Gedenkstätte Hohenschönhausen sehr viele Besucher zusätzlich beschert hat. Für Regisseur Mirko Böttcher soll "Akte R" letztlich auch ein Gegengewicht zu dieser Version des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck setzen.
Kurz nach Ihrer schicksalshaften Begegnung haben Sie sich 1999 entschieden, in der Gedenkstätte Hohenschönhausen als Zeitzeuge mitzuarbeiten. Die Arbeit macht Ihnen Freude. Sind Sie letztlich sogar froh, dass Ihnen der Stasi-Vernehmer über den Weg lief?
Es ist nicht so, dass ich diese Begegnung hatte, ein paar Wochen im Krankenhaus lag - und das war es dann. Ich wurde berufsunfähig und bin es bis heute. Das Trauma ist immer noch nicht restlos aufgearbeitet: Ich träume nachts von der Flucht, wie ich an der Grenze renne, ich wache immer noch auf und habe es immer noch nicht geschafft. Aber irgendwann wird auch der Moment kommen, wo ich nicht mehr hierher nach Hohenschönhausen gehe, wo ich nicht mehr die Hosen runterlasse und über das Erlebte reden muss. Aber natürlich bedeutet so ein Zusammenbruch wie damals auch einen Neuanfang. Ab diesem Moment habe ich wieder langsam zu mir selbst gefunden.
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