■ Standbild: Korinthenkackerei
„Abgetrieben“, So., ZDF, 20.15 Uhr
Noch sind der Gruppenantrag zum Paragraphen 218 und die einstweilige Verfügung des Bundesverfassungsgerichts dank der bayerischen Landesregierung nicht verdaut, da dreht mann ein Fernsehspiel über die Hexenprozesse in Memmingen. Das schürt Mißtrauen, auch wenn Regisseur und Rechtsanwalt Norbert Kückelmann schon je zweimal den Bundesfilmpreis und Silbernen Bären zwischen die Aktendeckel heften durfte. Die Zuschauerinnen wurden jedoch durch den Film „Abgetrieben“ überrascht.
In den USA wären wir wahrscheinlich schon längst per „Court TV“ über jeden einzelnen Prozeßtag, bis in die Gebärmutter der Zeuginnen, live vorm Bildschirm informiert worden. Dem wird hier bislang ein Riegel vorgeschoben, und das ist auch gut so. Doch was noch so brilliante Berichte damals nicht einfangen konnten, war die unerträgliche Entwicklung des verbalen und mimischen Schlachtfeldes der Memminger Richter und Staatsanwälte.
Das typisch männliche Kinnrecken über der blütenweißen Richterschleife, die doppelzüngigen Auslegungen von Wahrheit und Objektivität, die verlogene Logik der sogenannten Notlagen-Indikation. All das kann dagegen die filmische Inszenierung des Schauprozesses gegen den Frauenarzt Horst Theissen (Dr. Heß) basierend auf Originalzitaten beeindruckend vermitteln.
Ebenso wird die Verzweiflung, Angst und Einschüchterung der Zeuginnen deutlich, die nur deshalb funktioniert, weil außerhalb des Justizgebäudes die kleinstädtische Gesellschaft hinter Stores und Schabracken die Tabus bestimmt.
Gleichzeitig ist „Abgetrieben“ eine Lektion über die Korinthenkackerei vieler Juristen, einen Gesetzestext solange zu prüfen, bis er auf möglichst jeden mit der Höchststrafe angewandt werden kann. Das war nicht nur in Memmingen so, sondern läßt sich in jeder Strafrechts-Vorlesung für Jurastudenten an der Universität erleben.
Überzeugend ist aber auch die schauspielerische Leistung aller Mitwirkenden, von Edgar Selge als Verteidiger Block bis Aslahan Özay als Zeugin. Endlich mal wurde auf theatralische Gesten und übertriebene Formulierungen im Gerichtssaal verzichtet. Das Nachspielen der Realität ist sicher oft das Schwierigste, aber wie in diesem Fall sehr spannend. Caroline Schmidt-Gross
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