piwik no script img

■ StandbildTele-Delinquenz

„Ich bekenne“, Sonntag, 23.25 Uhr, Sat.1

Daß Talk-Shows sehr billig zu produzieren sind, ist zweifellos der Grund dafür, daß gegenwärtig auf allen Kanälen so viel gequasselt wird wie noch nie. Ob Prominente, Politiker oder Steuerzahler: Vor der Kamera sind alle gleich. Als wären sie aus einer Geschichte von E.T.A. Hoffmann, verhalten sie sich wie Automaten. Nach den magischen Worten „Kamera ab!“ erzählen sie zwanghaft ihre Lebensgeschichte oder produzieren nach vollkommen berechenbaren Gesetzen Skandale. Das Unwillkürliche, Natürliche und das Fiktionale, Inszenierte verschränken sich so sublim, daß selbst kritische Geister dem Irrtum verfallen, eine Talk- Show sei Mitschnitt von Wirklichkeit.

Um dem monotonen Redefluß tele-mortifizierter Sprechapparate Attraktion zu verleihen, greift die neue Sat.1-Talk- Show „Ich bekenne“ gemäß dem Stil der hiesigen Privaten auf moralisch Verwerfliches zurück: zum Beispiel Kinderpornographie (lechz!). Nach einem spacigen Vorspann, der eher Tonbandstimmen aus dem Jenseits erwarten läßt, geschieht etwas Überraschendes. Der Tele- Delinquent betritt eine Art optisches Quarantänezimmer aus monochrom blauem Milchglas. Wie durch einen Fahrkartenschalter sehen wir nur seine Hände. Der Inhalt dessen, was er von sich gibt, läßt sich darauf reduzieren, daß er sich bis zum Lebensende für schuldig erklärt. Was prima damit harmoniert, daß der Zuschauer bis zum Lebensende geil auf solchen Quatsch ist.

Interessanter ist der formale Kunstgriff, mit dem die Situation der Talk-Show als solcher hier sowohl auf den Punkt gebracht, als auch (ungewollt) karikiert wird. Seit Kabel und Schüssel bestes Bild garantieren, ist das Unscharfe von Reiz (Erpresservideo). Dieses Unscharfe, Realität suggerierende wird nun künstlich hergestellt. Auf den interviewten Kinderpornographen blicken wir wie jemand, der durch eine dicke Eisdecke hindurch einem unter dem Eis Ertrinkenden zuschaut. Und je weniger konkret zu sehen ist, desto mehr rudert die Kamera hin und her, um diesem wabernden Nichts in der Phantasie des Zuschauers Gestalt zu verleihen. Fernsehen der Zukunft: entkörperlichte Silhouetten hinter Glasbausteinen als Träger von Tonbandstimmen aus dem Jenseits. Ich bekenne: Ich schalte ab. Manfred Riepe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen