piwik no script img

StandbildBleibt, wo Ihr seid!

■ "Bitte melde dich!, Sat 1

Bitte melde Dich!, Mo., Sat.1

Es gibt in Deutschland einen alten Brauch: Der glückliche Familienvater, der stets pünktlich, ehrlich, zuverlässig und liebenswürdig war, nimmt Sonntagabends seine Jacke, sagt, er würde nur mal eben Zigaretten holen – und ward von da an nie wieder gesehen. Max Frisch hat in seiner „Geschichte von Isidor“ alles Wesentliche über dieses rätselhafte Verschwinden gesagt. Als besagter Isidor den Fehler beging, nach Jahren zu seiner Frau zurückzukehren, fragte die: „Warum hast du nie auch nur eine Karte geschrieben?“ Worauf Isodor seinen Revolver zog, dreimal in die Willkommenstorte schoß und für immer verschwand.

Alles klar? Anscheinend nicht, sonst gäbe es wohl kaum diese leidige Sat.1-Sendung „Bitte melde dich!“: Der kindlich-greisenhafte Jörg Wontorra nervt mit seiner geheuchelten Anteilnahme. Sein automatisierter Sprachduktus zeugt immer die Erwartung, er möge als nächstes sagen: „Wir schalten um ins Weserstadion.“

Das Widerlichste jedoch ist, daß hier ein schmerzhaftes Gefühl der Menschen systematisch ausgebeutet wird. Die Intimität wird den gezeigten Menschen bei lebendigem Leibe aus der Brust gerissen. „Bitte melde Dich!“ ist die Psycho-Version von „Aktenzeichen XY ungelöst“. Statt des Kommissars ist Wontorra eine Psychologin zur Seite gestellt, die den seelischen Steckbrief des Vermißten verliest. Kein Quadratmillimeter des Innenlebens bleibt unser Eigentum.

Und wenn sich Menschen dann nach Jahren wiedersehen, schwebt wie ein Geier die Kamera über ihnen, geil auf Tränen und Schluchzer – televisuelle Aasfresserei. Egal, ob Freude oder Schmerz: Über Satellit sind alle in der Seele des virtuellen Delinquenten zugeschaltet. Da gibt's nur eines: Bleibt, wo Ihr seid, Ihr Aussteiger aus der Fernsehwelt! Manfred Riepe

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen