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StandbildEntdeckungsreise

■ "Spiegel-TV Interview"

„Spiegel-TV Interview“, Freitag, 21.15 Uhr, Vox

Die Haare sind grauer und dünner, aus dem markanten Schnäuzer ist ein kurzer Vollbart geworden — der Mann, der da in seiner Wohnungstür steht, wirkt mehr als drei Jahre älter als der, der 1990 die Ost-SPD in den Wahlkampf geführt hat. Zwei Jahre lang hat Ibrahim Böhme keine Fernsehinterviews gegeben. Jetzt steht das Team von „Spiegel-TV“ vor der Tür, eingeladen zu Kaffee, Tee und Plätzchen. „Wollen sie meine schäbige Zwei-Zimmer- Wohnung sehen?“ fragt Böhme. „Gerne“, sagt Sandra Maischberger, und der Zuschauer folgt ihr in die kleine Welt von einem, der sich vor der Welt zurückgezogen hat.

„Reportage-Interviews“ nennt „Spiegel-TV“ sein Konzept, die Gesprächspartner in ihrer vertrauten Umgebung zu besuchen. Lothar de Maizière in seinem Büro, Christian Schwarz-Schilling beim Schneider, Ibrahim Böhme in seiner kleinen Küche. Die Kamera schweift über Kleinigkeiten, und Böhme redet darüber. „Ich gelte als im Durchschnitt recht sauberer Mensch“, sagt Böhme, während er Kaffee kocht. „Man sagt mir in dieser Beziehung sogar Penetranz nach, die an gewisse homoerotische Dinge erinnert“, meint er nebenbei. „Ist völlig lächerlich.“

Das Nebensächliche bleibt nicht banal. Mit manchmal beängstigender Offenheit reden die Befragten über Persönliches, Belangloses, Unangenehmes. Und wenn sie sich bei sich zu Hause entspannen, erscheinen ihre Ausflüchte, Erklärungen und Bekenntnisse näher — menschlicher. Die Atmosphäre mag ihnen vertrauter sein als die der Fernsehstudios, und andererseits ist es ungewöhnlich, in dieser Umgebung öffentlich zu sein. Das Ergebnis sind kleine psychologische Mosaiksteine.

Die Interviews enthüllen keine Sensationen, sie sind eine Entdeckungsreise in die Gefühlswelt der Befragten. Zum Beispiel, wenn Böhme vor seinem Bücherregal über die korrekte Sortierung von Bibliographien doziert, sich windet, sein Gedicht „Schuld“ zu analysieren oder weich fragt, ob man das Thema Reiner Kunze, den er für die Stasi bespitzelt haben soll, nicht beenden könnte — „Kunze sitzt noch tief hierdrin“, sagt er.

Natürlich bedient „Spiegel-TV“ den Voyeurismus des Publikums und erzeugt die prickelnde Spannung, wie weit die Interviewten es zulassen werden, Privates öffentlich werden zu lassen. Aber dieser Voyeurismus ist auch ein Interesse an den Menschen hinter den Schablonen in den Nachrichten. „Spiegel-TV“ macht Lust, sie kennenzulernen. Stefan Niggemeier

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