■ Standbild: Labertaschen
„Null Bock auf Wahl“,
Mittwoch, ZDF, 22.15 Uhr
„Wenn Sie im Fernsehen mehr Spannung hätten, hätten Sie auch mehr Zuschauer“, hatte der frisch zurückgetretene Peter Gauweiler im „heute-journal“ Wolf von Lojewski gerade noch live aus dem Münchner Pschorr-Keller mitgeteilt. Das wollte das ZDF nicht auf sich sitzenlassen und lud gleich anschließend zu einem echt spannenden politischen Aschermittwoch, und der sah so aus: Man schreibt im Graffiti-Stil „Labertaschen“ auf die Studiowand, nennt das ganze richtig provokant „Null Bock auf Wahl“, läßt altgediente Talk- Show-Schlachtrösser wie Heiner Geißler und Renate Schmidt mit – von der Redaktion der Betroffenheitsshow „Doppelpunkt“ – handverlesenen Nichtwählern diskutieren, und die Spannung knistert nur so: Empörte Zuschauer verlassen den Saal!
Zwei Achtzehnjährige drohen mit Wahlboykott und Liebesentzug, weil in ihrer Schule die Turnhalle baufällig ist: Marianne Birthler fleht tränenerstickt: „Gebt uns eine Chance“! Und die Kamera dreht für öffentlich-rechtliche Verhältnisse recht gewagte Runden um die politikverdrossenen Kombattanten!
Die Politiker geben sich ganz im Geiste des derzeitigen Sozialdemokratie-Revivals zerknirscht und betroffen: Wolfgang Gerhard muß zugeben, daß „die Lebenszusammenhänge kompliziert geworden sind“, Heiner Geißler empfiehlt, „einfach mal engagiert mitzumachen“, und Renate Schmidt gibt es „schon einen kleinen Stich“, daß ewig auf den Politikern herumgehackt wird, obwohl sie auch für Volksbegehren ist. Und während sich Volk und Vertreter gegenseitig die Schuld zuschieben, steht der immer zerbrechlicher wirkende Klaus Bresser wie ein einsamer Garant des Binnenpluralismus in der Mitte dieses demokratischen Infernos.
Bloß auf die Idee, daß diese sorgfältige Inszenierung eines „gesellschaftlichen Dialogs“, in dem Geschrei, Szenenapplaus und nahender Abspann politische Meinungsäußerungen zu sound-bites reduzieren, selbst ein Teil des Problems sein könnte, auf die Idee kommt keiner. Denn so spannend muß Fernseh-Demokratie eben schon sein.Tilman Baumgärtel
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen