■ Standbild: Ich: Robinson, du: Freitag
„Gottes eigenes Land“, Donnerstag, 23 Uhr, ARD
Amerika ist ein Hochhaus. Oben wohnen die Schweden und unten die Inder. Hingerissen von der Rätselhaftigkeit der eigenen Bildersprache fährt Professor Berger mit der Hand durch die Luft. Einmal auf Stirn-, einmal auf Halshöhe. Die Inder repräsentieren den wuchernden „religiösen Fundamentalismus“ der unteren Geschosse, die blonden Europäer das rationale Weltbegreifen auf der Aussichtsterrasse. Der Soziologe plaudert noch eine Menge über amerikanisches Sendungsbewußtsein, moralische und protestantische Hysterie. „Es ist ein gemischtes Bild“, schließt er seine freien Assoziationen rund um das Thema „Religiöser Fanatismus in den USA“ ab und bleibt damit so unscharf wie der gesamte Film.
In Sven Kuntzes Reportage kommen wildgewordene Mittelklasse-Christen zu Wort, bereit, in den heiligen Krieg gegen Rockmusik, Homosexualität und Drogen zu ziehen. Prediger rufen ihre Gemeinden auf, „das vergossene Blut der Ungeborenen“ zu rächen. Nur die Off- Stimme bleibt sprachlos. Fassungslos zieht sich der Kommentator auf die Perspektive eines zivilisierten Europäers zurück: „Es mag fremdartig für uns klingen, aber diese Menschen sind gläubige Christen.“ Mit ihm soll die gesamte abendländische Kultur indigniert den Kopf über diese seltsamen Wesen schütteln, die Gottes Gaben mit Ketchup und Erdnußcreme besudeln.
Rührend hilflos fällt auch Kuntzes Erklärungsversuch aus: Die Pilger waren's. Sie flüchteten so erfolgreich vor dem Geist der Aufklärung, daß die Amerikaner bis heute nicht wissen, wozu die menschliche Ratio fähig sein kann. Nach der kühnen These erprobt Kuntze sich in soziologischen Deutungsmustern und offenbart sein Selbstverständnis als zwischen den Welten vermittelnder Robinson Crusoe. Die Kamera geht derweil auf Safarifahrt und zeigt aus sicherer Distanz abbruchreife Fassaden, vor denen dunkle Kreaturen streunen. Und so lassen Bild und Text keinen Zweifel aufkommen, daß diese verwahrlosten Geschöpfe, anders als die fehlgeleiteten Gläubigen, nicht mal mehr als „Freitage“ taugen. Birgit Globitza
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