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■ StandbildAmoklaufen, poetisch

„Tag der Abrechnung“, Mittwoch, 20.15 Uhr, RTL

Am 9. März 1994 tötete ein Amokläufer im Euskirchener Amtsgericht sechs Menschen und sprengte sich anschließend selbst in die Luft. Ein halbes Jahr später sehen wir die Geschichte des Erwin Mikolajczyk als Fernsehspiel – in einer Reihe, die Mittwoch vor einer Woche mit „Tod in Miami“ so startete, wie man es von RTL erwartet hatte. Allen negativen Vorzeichen zum Trotz ist Regisseur Peter Keglevic mit „Tag der Abrechnung“ jedoch ein großes Fernsehspiel mit Kinoformat gelungen.

Der in drei Episoden gegliederte Film schildert Erwins Kindheit, den Bundeswehraufenthalt und die Zeit kurz vor dem Attentat. Nicht nur die präzise Führung der Schauspieler (u.a. Cornelia Froboess als Erwins alte Mutter) und das genaue Timing der Dramaturgie überraschen. Es ist das bis ins kleinste liebevoll genau beobachtete dörfliche Leben in den 60ern, das einen in den Bann zieht. Man kann förmlich den Geruch der miefigen Stuben einatmen. Jede Situation und jede Beobachtung ist präzise in der jeweiligen Zeit verwurzelt, bis hin zu den Rederitualen im Krankenhaus und den seltsamen Hauben der Schwestern. Provinzdepressionen, poetisch.

Statt dem reißerischen Tathergang zu folgen oder gar pseudopsychologisch in der Psyche des Attentäters zu spekulieren, erzählt der Film wunderschöne kleine Geschichten. Höhepunkt des ersten Drittels ist, wenn der kleine Erwin ein Ruderboot in die Luft sprengt und in den Wald flüchtet. Fährt die Kamera wieder aus dem Wald heraus, sind zehn Jahre vergangen. Derart poetisch gebaute Anschlüsse hat der Film zuhauf.

Mit Christopf Walz („Der große Reibach“) ist die Rolle des Erwin kongenial besetzt. Durch seine nuancierte und authentische Spielweise kann man miterleben, auf welch komplizierte Weise die sogenannte Normalität stufenlos ins Irresein mündet.

Statt lärmend daherzukommen, erzählt der Film mit einer angenehmen Bescheidenheit die Geschichte eines Gummistiefelvoyeurs und Waffenfetischisten, den es in dieser klaren Zeichnung sonst nur im britischen oder amerikanischen Kino gibt. Da ist sogar noch Platz für subtilen Humor, etwa wenn Erwin als Schulbusfahrer die lärmenden Kids mit der Knarre auf der Konsole zur Räson bringt. Egal welche Szene man heranzieht – der Film funktioniert einfach. Manfred Riepe

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