Standbild: Deutschland vernuschelt
■ "Deutschland korrupt"
„Deutschland korrupt“, Mittwoch, ARD, 21.45 Uhr
Das dumme Klischee will es so, daß die Italiener den Ruf gepachtet haben, korrupt zu sein bis ans Grab. Doch muß man gar nicht nach Palermo gucken, um korrupte Verhältnisse zu entdecken. Auch in der deutschen Gesellschaft wollen einzelne ihre Interessen durchsetzen gegen den Willen anderer und gegen das Allgemeininteresse. Das wollte Gero Gemballa im Auftrag des HR zeigen, seine Reportage nannte er – wohl ironisch – einen „Leitfaden“ durch „die hohe Kunst der Bestechung“.
Doch schon das Konzept verriet: Gemballa bekam die Sache nicht in den Griff. Wie eine Proseminararbeit präsentierte der Film zu Beginn seine Inhaltsangabe, acht römisch nummerierte Kapitel sollten Auskunft geben über die Spielarten deutscher Korruption. Die Auflistung hatte etwas von einer katholischen Beichte: Wir haben gesündigt in Worten und Taten, zu Hause, in der Schule, am Bau, in Bonn und im Ausland.
Das kaum zu entziffernde Sündenregister aber reicht Gemballa nicht. Auch alle Interviewfragen an Beschuldigte und Zeugen wurden auf schwarzen Tafeln formuliert, gegen die anonyme Typen dann ihre vielfach zerschnittenen Aussagen artikulieren mußten. Hochassoziative Zwischenkommentare verwirrten den um Durchblick ringenden Zuschauer dann endgültig. Und das Begreifen mancher O-Töne scheiterte schlicht daran, daß Gemballa wohl mit hörgeschädigten Tontechnikern gearbeitet haben muß. Unterm Hemdkragen in Revers und Krawatten versteckt, nützen eben die besten Mikrofone nichts – eine ganz neue Form der verdeckten Recherche.
Schon nach der Hälfte der Sendung hatten sich schließlich so viele Korrupte durch den Film genuschelt, daß es eigentlich Zeit zum Abschalten gewesen wäre. Hätte man nicht auf den Schluß gewartet, wo der Autor über die eigene Zunft, die JournalistInnen „im Glashaus“ berichten wollte. Aber allzu typisch auch dieses Beispiel: Da wurden neben einem Reisekritiker, der sich die Reisen, über die er berichtet, auch noch bezahlen läßt, am Ende ausgerechnet MedienkritikerInnen vorgeführt, die, von Sat.1 zur Pressekonferenz nach Ibiza geladen, feist die Sonne und die Disco genießen. Nur wer da nicht mitgemacht hat, darf wohl jetzt noch etwas über den gescheiterten Beitrag von Gero Gemballa schreiben. Was hiermit erledigt wäre. Achim Baum
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