■ Standbild: Flottes Melodram
„Die Leihmutter“, seit Montag täglich um 15.03 Uhr, ARD
Im Geleitwort des Tagesprogrammchefs Gert Müntefering klingen die Vorbehalte an, die der Soap-opera und insbesondere der lateinamerikanischen Telenovela hierzulande entgegengebracht werden. Vom „tropischen Dampfbad der Gefühle“ ist da die Rede, von „kandierten Gefühlen“ und einem „fatalen Hang zum Melodramatischen“, der „den Brasilianern“ quasi von Natur aus eigen ist. Das klingt zum einen unangenehm paternalistisch und zum anderen, als schäme man sich beim WDR, derart Triviales ins Programm gehievt zu haben.
Ein voreiliger Kotau, denn die in Rede stehende brasilianische Serie kann sich durchaus sehen lassen und hebt sich in der Anwendung moderner filmsprachlicher Mittel sogar wohltuend ab von den gleichförmigen Soaps aus deutscher Produktion. Mit schnellen Takes werden die handelnden Personen eingeführt, die Exposition ist ein einziger rasanter Bilderbogen. Eine flotte Montage, durchdachte Anschlüsse, einfallsreiche Bildkompositionen und ausgeklügelte Plansequenzen lassen das bei derartigen Formaten notorisch knappe Budget rasch vergessen.
Strukturell folgt die Serie dem in den 70er Jahren von dem Mexikaner Miguel Sabido entworfenen Konzept, die melodramatische Serienerzählung zu instrumentieren, um dem von anderen Kommunikationsmitteln ausgeschlossenen Publikum gesellschaftlich relevante Sujets nahezubringen. Anders als in den glamourösen Primetime Soaps US- amerikanischer Herkunft, bewegen sich die Identifikationsfiguren der modernen Telenovelas auf gleichem gesellschaftlichem Level wie die Mehrzahl der ZuschauerInnen. Die einzelnen Rollen sind bewußt archetypisch angelegt, um Vorbildfunktionen zu betonen. Auf der narrativen Ebene wird soziales Handeln gemeinhin gratifiziert; auch dies soll zur Nachahmung animieren.
Die Produzenten dieser Serials wissen freilich pädagogische Überfrachtungen zu vermeiden und achten auf hohen Unterhaltungswert. Das 80teilige Serial „Die Leihmutter“ liefert ein Beispiel dafür, wie soziale Problematiken in einen populären Text eingearbeitet werden können – wenngleich durch den Transfer in einen anderen Kulturbereich der Alltagsbezug naturgemäß erheblich geschmälert wurde. Harald Keller
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