■ Standbild: Je älter die Wiederholung
„Je später der Abend“, Donnerstag, 23.00 Uhr, WDR
Seltsam – schon Anfang der siebziger Jahre war das Fernsehen schlecht, trotz Flipper und Tarzan. Und man kann es dem WDR nur danken, daß es zu seinem 40. Geburtstag wieder die alten Rollen auspackt, nur um uns vor falscher Sentimentalität zu bewahren.
Zum Beispiel diese erste deutsche Talkshow mit dem Dietmar Schönherr. Geladen waren Franz Xaver Kroetz (Volksgut), Irene Rodrian (Krimis) und Rolf Bossi (Rechtsgut). Sie durften sich von der Requisite einen Stuhl nach ihrem Geschmack aussuchen, rauchen, paffen, aus Wassergläsern Sekt trinken und sich gegenseitig im Reden unterbrechen, sooft es Dietmar Schönherr zuließ. Denn sie alle hatten eine große Mission: Ihrem Deutschland den ungezwungenen Plauderton beizubringen. Und immerzu kreisten ihre Reden rund um die Frage, was eine Talkshow eigentlich ist. Dem Breitbein Franz Xaver Kroetz und seinen Manifesten lauschen? Die eine Frau möglichst schnell aus allen Männer-Reden drängen? Den Rolf Bossi nach seinem Einkommen fragen? Dietmar Schönherr als Musterschwiegersohn entlarven?
„Unsere Irene“ hatte keine Chance, mehr als nur „Piep!“ zu sagen. Kroetz konnte sich im absoluten Herrschergestus üben. Bossi wollte immerzu verschlagen in die Kamera lächeln, und Dietmar Schönherr trieb das „freie Gespräch“ in Richtung Betroffenheit und Sozialkritik.
Im Publikum saßen damals noch die Menschen mit verschränkten Armen da und hofften auf eine Pointe, um dann rhythmisch klatschen zu dürfen, alleine nur, um ihre Durchblutung anzuregen. Denn schon damals zählte nur das Rollenspiel vor der Kamera mit seinen dramatischen Wendepunkten: die Attacke der Irene auf den Pascha Dietmar. Die Lust der Dogge Kroetz, dem Bossi auf die teuren Lederschuhe zu pinkeln. Der gescheiterte Versuch von Schönherr, den ersten deutschen Talk galant zu beenden. „Es ist so ein schönes Loch entstanden, in das ich hineinreden kann.“
Und doch will man fast schon wieder sentimental werden, wenn man sie dann so sitzen sieht. Kroetz, der verbissen auf seinem Stuhl wippt. Rodrian, die in ihrem Sessel versenkt wurde, und Bossi, der sich weit über seinen Stuhl hinaus duckt. Die Talk-Gäste von heute haben auf den Rhetorikkursen gelernt, auf ihre body language zu achten, so daß sie sich heute so eigenartig uniform bewegen – und alles nur noch ein body ist, was sie sagen. Damals wußten sie eben noch nicht, daß bei den Talkshows Diskurs und Argumente eh egal sind. Marcus Hertneck
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