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■ StandbildStammeltisch im Bellevue

„Bei Roman Herzog im Bellevue“, Mi., 21.40, ARD

Tolle Idee von der ARD, fünf ganz normale Arbeitnehmer aus Ost und West an einem Tisch zu versammeln und an das Kopfende den einfachsten Menschen von allen zu setzen: Roman Herzog. Ein bayerischer Bundespräsident wie du und ich, der im Dienste der Demokratie inzwischen selbst die Grammatik verlernt hat. Macht nichts, denn zu sagen hat er eh nicht viel. Höchstens Allgemeinplätze wie: „Wir werden nie alle Menschen unter einen Hut bekommen.“

Ein schlichtes Fazit nach einer knappen Stunde Bürgertalk im Schloß Bellevue über die „Erfahrungen in der Arbeitswelt Ost und West“. Die tauschten Herzogs Gäste weitgehend allein aus, denn er selbst hörte lieber zu. Als hätte er den Standort Deutschland allein auf dem Gewissen, saß er gesenkten Hauptes auf seinem Stuhl und schaute dem anwesenden Volk in altbekannter Manier aufs Maul. Schließlich läßt er auch sonst kaum eine Gelegenheit aus, um an Imbißbuden currywurstige Bürgernähe vorzutäuschen.

Nachdem Herzog bereits vor einem halben Jahr mit Quotenjugendlichen die Traumata der Vereinigung durchdiskutiert hatte, saß am Abend des 1. Mai eine weitere Handvoll Durchschnittsbürger in seiner Bibliothek herum, um dem ranghöchsten Volkstümler ihr Leid zu klagen. Doch der wirkte diesmal noch ein wenig abwesender als gewöhnlich und ließ seine Gäste über weite Strecken vor sich hin floskeln: Während der Jungunternehmer aus der Computerbranche für den Gnadenschuß ab 35 plädierte, wußte die Dame vom Leipziger Quelle-Versand, daß sogar ältere Beschäftigte „noch ganz schön Power haben“.

Was soll man dazu sagen, dachte wohl auch Roman Herzog und beschränkte sich auf beipflichtendes Grunzen und bajuwarisches Kichern. Ähnlich zeit- und geistlos waren auch seine Überleitungen: „Wie ist denn Ihre Sicht der Themen, die wir hier haben?“ Ja, geh her! So einfach kann eine Talkshow sein. Vor allem, wenn die Inhalte nicht so wichtig sind, liegt der Sinn schließlich „auch im Vormachen solcher Gespräche“.

Vielleicht sollte Roman Herzog seinen nächsten Tele-Stammeltisch auf die Veranda verlagern, einen Kasten Weißbier spendieren und den Leberkäse auf den Grill schmeißen. Und die Bundespräsidentenfrau geht derweil mit den Kameraleuten zum Boccia-Spielen in den Garten. Oliver Gehrs

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