Stadtnatur auf dem Flughafengelände Tempelhof: "Eine Parkanlage wäre problematisch"
Dank seiner urtümlichen Vegetation ist das Flughafengelände ideal für bedrohte Vogelarten, sagt Vogelforscher Bernd Ratzke.
taz: Was zeichnet den Flughafen Tempelhof als Lebensraum für Vögel aus, Herr Ratzke?
Bernd Ratzke: Tempelhof war schon immer eine sehr große Freifläche mitten in der bebauten Stadt. Vor dem Flughafen existierte hier ein Exerzierplatz.
Was heißt das für die Vegetation?
Es gibt dort eine sehr urtümliche Vegetation, weil der Boden seit 100 Jahren nicht gedüngt wurde. Generell herrscht eine hohe Strukturvielfalt, das heißt, dass es unterschiedliche Vegetationszonen mit vielfältigem Nahrungsangebot gibt. Dazu gehören hochgrasige und kurz geschorene Wiesen sowie Brachen mit Verbuschungen.
Welche Vögel leben dort?
Dort brüten einige Offenlandarten, die deutschlandweit sehr selten sind. Manche stehen sogar auf der Roten Liste. Der Steinschmätzer ist beispielsweise vom Aussterben bedroht. Rund fünf der etwa 50 Paare, die es in Berlin gibt, brüten beständig auf dem Areal. Die Feldlerche ist der Charaktervogel des Flughafens, der ihm seine besondere Klangfarbe gibt. Innerhalb Berlins ist dies die größte Population und auch überregional kommt sie selten so dicht vor. In den Brachflächen konnten zudem Neuntöter, Schafstelze und Brachpieper als Brutvögel nachgewiesen werden.
Hat der Lärm der Flugzeuge die Vögel nicht beim Brüten gestört?
Viele Vögel tolerieren den Lärm, sofern keine Gefahr von ihm ausgeht. Menschen und Hunde sind gefährlich, da sie kreuz und quer rumlaufen. An eine ständige Störung gewöhnen sie sich allerdings meist.
Ist Tempelhof nur Brutplatz?
Nein, der Flughafen ist auch Nahrungsraum für die benachbarten Gebäudebrüter, beispielsweise für Dohlen. Zwei der größten noch existierenden Berliner Dohlenkolonien mit rund 50 Paaren brüten rund um den Flughafen. Doch diese Art geht seit Jahren zurück, weil die Freiflächen abnehmen. Auch typische Stadtvögel wie Sperling, Stieglitz und Ringeltaube suchen auf dem Gelände ihre Nahrung.
Welche Folgen hätte eine Bebauung des Geländes?
Bernd Ratzke ist Gymnasiallehrer für Geschichte und Deutsch. Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich der 48-Jährige nebenbei mit der Berliner Vogellandschaft und war auch als Gutachter für den Senat tätig.
Im Ökosystem Stadt sind Freiflächen generell wichtig, und als Berlins größte mit einer solch naturnahen Wiesenvegetation ist Tempelhof besonders bedeutsam. Wenn das Gelände großflächig bebaut wird, kann man davon ausgehen, dass ein großer Teil der Arten ihren Brutplatz aufgibt und sich die Bestände drastisch reduzieren. Der Brachpieper ist der Sensibelste, der zuerst verschwinden würde. Die Rote Liste verpflichtet eigentlich, dass bei Umgestaltungsmaßnahmen Rücksicht auf diese Arten genommen wird.
Wie schätzen Sie das für Tempelhof ein?
Das wird häufig nicht gemacht. Ich kenne kaum ein Projekt, wo Rote-Liste-Arten gehalten wurden. Selbst Gebäudebrüter werden durch Sanierungsmaßnahmen wie die zunehmende Dachversiegelung kontinuierlich zurückgedrängt.
Und wenn man das Gebiet zu einem Park umgestaltet?
Auch Parkanlagen sind problematisch, da die ständigen Wanderer die Vögel aufscheuchen würden. Außerdem wäre die gestaltete Grünfläche viel nahrungsärmer.
Was würden Sie sich für Tempelhof wünschen?
Natürlich, dass alles so bleibt - aber das ist utopisch. Bestenfalls belässt man die Freilandflächen, soweit es geht, und sperrt sie mit Zäunen ab, um Spaziergänger zu lenken. Dort könnten sich viele Vogelarten und Schmetterlinge ansiedeln. Ein solches Experimentierfeld mit unterschiedlichen Vegetationszonen für Offenlandarten, das wäre mein Traum.
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