Stadtmitte: KESSELPFEIFEN
■ Gastkolumne von Benedikt M.Mülder
Erst waren es Presseleute, die während der IWF-Tagung von Polizisten eingekesselt worden sind, Nun wurden, so Polizeipräsident Schertz, Polizisten gar von Journalisten umzingelt. Den Uniformierten möchte ich sehen, der vor einem mit Bleistift und Schreibblock bewaffneten Schreiberling Reißaus nimmt. Die Berliner Debatte über Presse und Polizei wird immer grotesker, ohne Anzeichen von Einsicht bei den Verantwortlichen. Sie verbarrikadieren sich hinter sturer Dummheit – meterhoch türmt sich die Festung. Es sieht im Moment so aus, als wollten die Journalisten der Stadt dieser eine ebenso hohe entgegensetzen. Berlin ist zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges geworden.
Es fing damit an, daß Fotografen in ein Genfer Hotelzimmer eindrangen und am Tatort ihrer Neugierde (zu Recht!?) freien Lauf liefen. Dann kam Gladbeck und die tödlich endende Geiselaffäre. Journalisten wurden zu Komplizen, nicht nur der Gangster, sondern auch der Polizei, indem sie ihr die vertanen Chancen zum gezielten Todesschuß vorrechneten. Die Branche am Tatort, mittenmang. In Ramstein nicht anders. Wieder und wieder die Bilder der Katastrophe. Nicht aus der Büchse, sondern frisch auf den Tisch. Und nun Berlin. Am „Tatort“ IWF kamen Journalisten ins Gedrängel und die Pressefreiheit unter die Polizeistiefel. Soviel steht fest. Für mich steht aber auch fest, daß Berlin weitaus schlimmere Attacken auf Presseleute erlebt hat. Mir geht es nicht um die Berechtigung der Klagen darüber, sondern um ihre Verhältnismäßigkeit. Journalisten sollten ehrlich zu sich selbst sein, wenn sie ernst genommen werden wollen. Es heißt, die Pressefreiheit sei bedroht worden, wo aber ist ein Organ gehindert worden, Übergriffe beim Namen zu nennen? Erst Vergleiche mit Chile, Südafrika oder der DDR rechtfertigen. Kewenig's „Tatort“ ist nur ein fiktiver und ein törichter dazu. Jeder Journalist würde sich hoffentlich einen Scheißdreck um die Pressefreiheit, die Story kümmern, wenn er einen Überfall, eine Vergewaltigung, einen Mord verhindern könnte. Oder nicht? Außerdem, wer im Gedränge steht und geht, das ist die Pflicht eines jeden Reporters, das ist auch sein Risiko, wird bedrängt. Warum die Aufregung? Man muß sich nicht unbedingt einer blindwütig losrennenden Polizeimeute entgegenstellen. Alte Hasen wissen seit Jahren, wie man auf der Straße einen journalistischen Haken schlägt. Schließlich, Journalisten brauchen gar keine angeblich kalten, nüchternen und objektiven Beobachter zu sein. Sie sollten nur nicht nach dem Motto vorgehen: Die andern die Prügel, wir die Bilder. Es ist keine Schande, wenn Journalisten darauf bauen, mit Presseausweis, Fotoapparat oder Kamera bei Festnahme und Einsätzen Schlimmeres verhindern zu können. Solange Kewenig von der „Stimmung in seiner Truppe begeistert“ ist, nehme ich den Vorwurf der Behinderung gerne in Kauf. Die Heuchelei mancher Kollegen allerdings finde ich widerlich.
Wir Journalisten müssen die „Übergriffe“ in unserem eigenen Laden diskutieren, denn sonst geraten wir schnell dorthin, wohin uns die Nachrichtensperrer hinhaben wollen, ins moralische und publizistische Abseits. Kewenig taugt mit seinem Hang zu Schusseligkeiten gut als Watschenmann, aber nicht, um das lädierte Selbstbewußtsein der Branche an der falschen Front zu begradigen.
Benedikt M. Mülder,ehemaliger taz-Redakteur, arbeitet jetzt als freier Journalist.
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