: Spuk im Lampenladen
„Kein Phänomen ist ein Phänomen, es sei denn, es ist ein beobachtetes Phänomen“ – Niels Bohr stellte es fest, Helene von Oldenburg überdreht die Erkenntnisspirale
Nehmen wir mal an: Im ehemaligen Lampenladen Vor dem Steintor 174 reißt eine Ausstellungsbesucherin mit ihrem mächtigen Hinterteil einen von der Künstlerin Helene von Oldenburg platzierten Schnellhefter samt naturwissenschaftlichem Wissen von der Auslage und zeitgleich zerspringt in der taz-Redaktion eine Glühlampe. Was hat das zu bedeuten?
Hat es etwas zu bedeuten? Sind hier kleinste physikalische Teilchen im Spiel? Neutronen, Photonen, die voneinander „wissen“, die so miteinander verknüpft sind, dass – egal, was dem einen Teilchen passiert – es dem anderen – wo immer es sich befindet – auch passiert? Und vor allem, wie passiert es? Teleportation oder gar Telepathie? Total abgedreht, diese Vorstellung? Nein: „Überdreht“; das unter anderem aus dem Kulturhauptstadtfonds geförderte Thealit-Frauen-Kultur-Laboratorium, hat für die nächsten Monate den ehemaligen Lampenladen im Viertel in Beschlag genommen. Und sich die Naturwissenschaftlerin und Künstlerin Helene von Oldenburg geholt, die sich eines quantenphysikalischen Phänomens annimmt. „Entanglement – Spooky Action at a Distance“ ist ihr Thema. Für Albert Einstein war Entanglement (= Verschränkung) noch ein Gedankenexperiment und „spooky action“, mittlerweile ist „die unerklärliche Fernwirkung einer Aktion auf die andere“ ein wissenschaftlich nachgewiesenes Phänomen, mit dem die Quantenphysiker schon heftigst experimentieren. Allerdings ohne dabei schon herausgefunden zu haben, weshalb verschränkte Teilchen so reagieren, wie sie reagieren, also weshalb es überhaupt zum Entanglement kommt. Dass es passiert, steht fest – meinen die Wissenschaftler. „Teilchenteleportation“ soll die Grundlage zur Quantencomputertechnologie werden. Schlagwort: „überlichtschnell“. Womit sich der Kreis zu schließen scheint.
Für Helene von Oldenburg stellt sich angesichts dieser Situation die Frage: Gibt es dann eigentlich eine Grenze zwischen quantenphysikalischer Welt und der uns sinnlich erfahrbaren Welt? Vornehmlich herrschen andere physikalische Gesetze, aber was ist die Verschränkung dieser Welten? Könnte Telepathie nicht auch eine Art Teilchen- respektive Informationsteleportation sein? Die Künstlerin transportiert ihre überdrehte Gedankenspirale in einen „(Nach)bau eines jener naturwissenschaftlichen Experimente, die Licht in die grundlegenden Fragen zu Materie und Information bringen sollen“.
Die ungeschickte Ausstellungsbesucherin (die mit dem mächtigen Hinterteil) betritt zögernd durch einen „Checking-Bereich“ (ein schwarzer Vorhang) eine Dunkelkammer, in der je nach ihrem Bewegungs- und Positionswechsel das Licht aus und angeht (durch Bewegungsmelder). Sie erfährt in einer Art von Vorstellungsspuk, wie es sein könnte, wenn sie ein Neutron wäre. Gäbe es ein oder mehrere Teilchen, die sich mit ihr verschränken würden? Dazu wäre ein gemeinsamer Prozess vonnöten. Eines scheint gewiss: Dann wäre es wohl aus mit der Einzigartigkeit. Alles andere bleibt: im Ungewissen. In der Dunkelheit leuchten der Grüblerin die Worte Niels Bohrs von der Wand: „Kein Phänomen ist ein Phänomen, es sei denn, es ist ein beobachtetes Phänomen.“ Wo mögen jetzt gerade die Lichter ausgehen? Daniela Barth
Am 20. Februar, 14 Uhr, wird Helene v. Oldenburg das quantenphysikalische Phänomen einem telepathischen Test unterziehen. Bis dahin können Interessierte die Ausstellung Mi. + Do. 16 - 18 Uhr, Sa. + So. 12 - 14 Uhr oder nach Vereinbarung (☎ 701632) besuchen