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Archiv-Artikel

Splatter, B-Movies und Rock‘n‘Roll: „The Cramps“, Helden ihres eigenen Genres, in der Großen Freiheit Bad Taste in Formvollendung

Auf der Bühne ist Lux Interior unberechenbar. 1998, bei einem Konzert in Essen, schlug der Sänger der Cramps mit dem Mikrofonständer ein Loch in die Holzbühne, kletterte hinein und sang von dort weiter. Nach der damaligen Tour wurde es ruhig um die Band, und eine ganze Reihe von Journalisten hatten sie bereits abgeschrieben. Totgesagte leben allerdings bekanntlich länger und die Cramps waren immer mal wieder von der Bildfläche verschwunden. Mal waren es Probleme mit dem jeweiligen Label, die der Schaffenskraft der beiden Gallionsfiguren Lux Interior und Poison Ivy Rorschach Grenzen setzten, mal fehlte schlicht Personal an Bass oder Schlagzeug. Und dann hatten die beiden zwischenzeitlich auch mal anderweitig zu tun.

So musste das eigene seit 2001 betriebene Vengeance-Label aufgebaut werden, und auch der eigene Plattenladen fordert seinen Tribut. Bereits seit den frühen 70er Jahren sammeln die beiden 50er-Rock‘n‘Roll-Vinyl. Wahrscheinlich besitzt das Paar davon sogar die größte Sammlung der Welt und nebenbei noch ein fettes Archiv mit zeitgenössischen B-Movies – womit die wichtigsten Inspirationsquellen der Cramps benannt wären.

1972 trafen sich Interior und Rorschach angeblich bei einem Seminar zu Kunst und Schamanentum in Sacramento. Es war Liebe auf den ersten Blick, und bald darauf begann das exzentrische Pärchen, Pläne zu schmieden, um eine eigene Band zu gründen. 1975 gingen sie deshalb nach New York und trafen die Musiker, mit denen sie The Cramps aus der Taufe hoben. Ein Jahr später standen sie im legendären CBGB‘s im Vorprogramm für die Ramones, Dead Boys und Suicide auf der Bühne. Mit ihrem bald zum Markenzeichen gewordenen, trashigen Sound über dem die Fuzz-Gitarre von Poison Ivy wimmerte, machten sie sich einen Namen. Zu den Fans der ersten Stunde gehörte auch Alex Chilton, der sie nach Memphis einlud und dort ihre erste Platte Songs The Lord Taught Us aufnahm. Nicht irgendwo, sondern in den Sun-Studios, wo Elvis Presley seine ersten Singles eingespielt hatte.

Doch der King ist ein sanftes Lamm gegen die geballte Power von Lux Interior, der für seine Bühnenshow so bekannt ist wie für unvergessliche Songs, die nahezu sämtlich in Zusammenarbeit gemeinsam mit Poison Ivy Rorschach entstanden sind. „Human Fly“, jahrelang die Hymne der Band, gehört genauso dazu wie „Bikini Girls With Machine Guns“ oder der furiose „Cramp Stomp“.

Live ist die Band ist ein Selbstgänger, und die wenigen Tourneen der Band in Europa waren grandiose Erfolge vor ausverkauften Häusern. Die Fangemeinde hält den Cramps trotz ihrer teilweise langjährigen Schaffenspausen die Stange. Fünf Jahre waren es diesmal zwischen dem vorletzten Album und dem diesjährigen Fiends Of Dope Island. Doch das Warten auf die Band, die ihr eigenes Genre schuf, viel kopiert und nie erreicht wurde, lohnt sich. Ob auf oder unter der Bühne. KNUT HENKEL

Sonntag, 21 Uhr, Große Freiheit 36