piwik no script img

Archiv-Artikel

Spielplätze (14) Sorgenvoll richtet sich der Blick auf den bröckelnden Putz

Alle gucken Fußball. Wir auch. Bis zum Ende der WM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Portugal – Niederlande im Stadtbad Oderberger Straße.

„Was für ein Spiel“, ruft der pinkelnde Mann auf der historischen Herrentoilette. Im Stadtbad Oderberger Straße hatten gerade zahlreiche Prenzelberger Hipster das beinbrecherische und mit Gelben Karten gepflasterte Achtelfinale Portugal – Niederlande verfolgt.

„Was für ein Bad“, hätte der Mann auch rufen können. Das Gebäude ist der Stein gewordene Traum jedes Badefreunds. Hohe Gewölbe in der Halle, an der Seite eine Galerie, von der man auf die im Wasser schwimmende Nixen blicken könnte. Doch in dem 1902 eröffneten Haus wurden schon 1986 die letzten Bahnen gezogen. Seitdem ist das Bad geschlossen. Eine Genossenschaft kämpft seit Jahren für die Sanierung. Sogar gekauft hat sie das altehrwürdige Gebäude. Genützt hat das bisher fast nichts. 2005 hat Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) den eingeplanten Baukostenzuschuss aus EU-Mitteln gestoppt. Seither hängt an der Fassade ein Plakat, auf dem die Senatorin zur Zukunft des Bads zitiert wird: „… oder wir reißen es ab.“

Daran will man heute nicht denken. Während der WM gastiert hier die „WM-Lounge“. Im leeren Becken wurden Kunstrasen ausgerollt. Darauf stehen Stühle, Sessel und eine Bar. Die Leinwand ist gut sichtbar, da die Zuschauer im abfälligen Becken hinten höher sitzen als vorn. Der Blick aufs Spiel ist ohnehin gesichert. An jeder Ecke wurden Fernseher aufgestellt. Sogar auf dem Hof, wo Grillgut angeboten wird, verpasst man keine Gelbe Karte. Als eine Art Prenzlauer-Berg-Happening erweisen sich zwei Bildschirme draußen auf dem Gehweg. Je länger das Spiel dauert, desto mehr Passanten bleiben stehen, setzen sich auf Stühle und Boden. Auch vier Polizisten auf Streife und ein Obdachloser freuen sich über das ungezwungene Public Viewing.

Fast würde man sich wünschen, in der kathedralenartigen Halle würde immer der Gott Fußball angebetet. So gut passen die hallenden Jubelrufe zum alten Gemäuer. Genauso wie die elektronischen Beats, die ein DJ nach den Spielen auflegt. Auch wenn man dabei etwas besorgt auf den blätternden Putz an Decke und Wänden blickt.

Für die Zukunft des Stadtbads sieht es unterdessen wieder etwas besser aus. Die Stiftung Denkmalschutz habe angekündigt, Geld in das Bad zu pumpen, berichtet Thomas Bremen, Vorstandsmitglied der Badgenossenschaft. Zwar bleibe die Sanierung ohne Landeszuschuss dennoch unmöglich, sagt Bremen, aber er bleibt zuversichtlich: „Wir probieren es noch einmal.“

Fast möchte man sagen: Schade eigentlich, wenn hier nicht mehr über Gelbe Karten diskutiert werden kann. Aber die WM wird auf jeden Fall deutlich eher abgepfiffen, als mit der Renovierung begonnen werden kann.

Sebastian Lehmann

WM-Lounge im Stadtbad Oderberger Straße, Oderberger Straße 57/59, Prenzlauer Berg; täglich eine Stunde vor Spielbeginn geöffnet