Speiseeis: Grieß-Pflaume aus dem Kälte-Rudi

In einem Kreuzberger Hinterhof lässt das Eismacher-Team von "Vanille & Marille" seiner Experimentierlust freien Lauf. Extravagantes geht gut.

Nicht ausgefallen genug: Eis-Auswahl, wie man sie kennt Bild: ap

Es duftet süß, wenn die Tür zur Eisküche aufgeht. Laszlo Lorant steht vor einer Herdplatte und verrührt in einem Topf Milch, Butter und selbstgemachtes Karamell. Es dauert einige Minuten, bis die Masse flüssig ist. "Caramel beurre salé" ist eine der Eissorten, die in einem Hinterhof der Hagelberger Straße in Kreuzberg entstehen.

Seit Mai 2009 wird in der kleinen Manufaktur "Vanille & Marille" Eis hergestellt. Das Konzept ist einfach: Alles soll selbstgemacht sein, von Anfang an. "Viele Läden verkaufen fertiges Eis", erklärt Falk Rahn, der Chef. "Das ist wie eine Fertigmischung, zu der man nur noch Milch gießen muss." Bei Vanille & Marille hingegen produzieren die Eismacher die Grundmasse selbst. Sie schälen den Ingwer, backen die Brownies und kochen den Grieß - alles Zutaten für die ungewöhnlichen Sorten. Kommt Orangen- oder Limettenschale ins Eis, verwendet Rahn nur Bioprodukte. Ansonsten achtet er auf frische Zutaten. "Es schmeckt einfach besser, wenn man keine künstlichen Aromastoffe verwendet."

Den Anspruch, italienisches Eis zu machen, hat Rahn nicht. "Keiner von uns ist Italiener", sagt er lächelnd. "Wir fahren höchstens zur internationalen Eismesse in Italien, um uns ein paar Anregungen zu holen." Was Rahn produzieren will, ist Berliner Eis. Und das heißt für ihn Weiße Schokolade mit Orange und Ingwer, Grieß mit Pflaume oder Dörr-Marille mit kandierten Pinienkernen und weißem Pfeffer.

60 solcher Eissorten haben er und sein Team bereits kreiert. Wie sie auf die Ideen kommen? "Ach, man probiert ein bisschen aus", sagt Rahn, der zum gestreiften Hemd eine Jeans und rote Chucks trägt. Einmal pro Woche trifft er sich mit seinen Mitarbeitern und diskutiert über neue Eissorten. Doch nicht alles schmeckt, wie es sich die Macher vorstellen. Das teure Granatapfelpüree aus Frankreich schaffte es in Eisform nicht in den Verkauf, weil es zu fad schmeckte. Und auch das Biereis, eine Idee für den Vatertag, hatte sich Rahn leckerer vorgestellt. "Wir haben mit allen möglichen Biersorten experimentiert." Aus Spaß habe er das Ergebnis zwei Tage lang verkauft, dann aber wieder aus dem Angebot genommen. "Es hat zu sehr an abgestandenes Bier erinnert."

Das Caramel beurre salé ist da deutlich erfolgreicher. Sobald sich Butter, Milch und Karamell zu einer homogenen Substanz vermengt haben, lässt Laszlo Lorant aus einer silbernen Maschine mehrere Liter Grundmasse hinzufließen. Dann ist Kälte-Rudi an der Reihe. "Der Mercedes unter den Eismaschinen", sagt Chef Rahn. 15 Liter Eismasse werden in den Trichter gekippt, dann fängt die Maschine an zu brummen. Bei minus 8 bis minus 12 Grad wird das Eis wie in einer Waschmaschine geschleudert, dabei wird es gekühlt und mit Luft versetzt, damit es nicht zu hart wird.

Rahn war eigentlich in der Erwachsenenbildung tätig. "Aber mit der Zeit hatte ich immer weniger Aufträge", erzählt der 36-Jährige. Mit dem Gedanken, Eis herzustellen und zu verkaufen, habe er schon länger gespielt. Als Anfang 2009 der kleine Laden - 20 Quadratmeter, zwei Räume - in der Hagelberger Straße frei wurde, wagte Rahn den Neuanfang. Er kaufte gebrauchte Maschinen, kreierte ohne professionelle Ausbildung Eissorten und eröffnete wenige Monate später den Eisladen. Eine Handvoll Leute passen in den Verkaufsraum, Sitzplätze gibt es nur auf dem Bürgersteig. Kaum vorstellbar, dass in dem wenige Quadratmeter großen Hinterzimmer die Eisproduktion begann.

Im vergangenen Jahr hat Rahn die Produktion in den Hinterhof verlagert. Auf 120 Quadratmeter Fläche befinden sich jetzt Küche, Kühlraum, Lager, Büro und ein großer Holztisch, über dem bunte Plastikkronleuchter hängen. Direkt daneben steht ein mobiler Eisstand in den Farben der Manufaktur: Pink und Blau.

Der Laden sei von Anfang an gut gelaufen, sagt Rahn: "Ich war erstaunt." Vielleicht liege es an der guten Lage. Nur als sich die Produktionsstätte vergrößerte, hat Rahn seine eigene Wohnung für einige Zeit untervermietet und in einem Raum gewohnt, der jetzt als Lager dient - um Geld zu sparen. Heute wechseln sich 20 Saisonkräfte mit dem Verkauf ab, das Eis produzieren fünf. Auch Rahn, der inzwischen eine Ausbildung zum staatlich geprüften Eishersteller absolviert hat, steht immer wieder in der Eisküche. "Es macht einfach Spaß, kreativ zu sein."

Seit diesem Sommer hat "Vanille & Marille" eine Filiale in Steglitz. Das war eher Zufall, sagt Rahn. Ein netter, kleiner Laden sei frei geworden. Viel mehr wolle er nämlich nicht expandieren. "Das soll ein kleines Unternehmen bleiben." Zu schön sei es, Kontakt zu den Kunden zu haben, die Mitarbeiter persönlich zu kennen, mit ihnen zu Hause zu grillen oder zu frühstücken.

Eine gute Atmosphäre sei wichtig, wenn man nur von März bis Oktober geöffnet habe und in dieser Zeit den Lebensunterhalt für ein ganzes Jahr erwirtschaften müsse. "Zwölfstundentage sind normal", sagt Rahn. Manchmal arbeite er auch bis 1 Uhr nachts. "Da muss man sich verstehen." In diesem Winter will der Eismacher seinen Laden nicht schließen, sondern ein paar Stunden am Tag das Eis in Halbliterbechern für zu Hause verkaufen. "Aber ein wenig Urlaub werde ich mir gönnen."

Nach zehn Minuten hat Kälte-Rudi aufgehört zu rattern und spuckt karamellfarbenes Eis in eine Schale. Laszlo Lorant wischt die Ränder mit einem Papiertuch ab, deckt den Behälter mit Folie ab und stellt ihn in den Kühlraum, wo schon das Grieß-Pflaume-Eis lagert. Falk Rahn guckt besorgt nach draußen. Regen, 17 Grad. "Ich schaue bestimmt fünfmal am Tag auf die Wetter-App in meinem Handy", sagt er. "Aber heute Nachmittag soll es wieder aufziehen. Hoffentlich."

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