■ Spanien integriert sich in alles – eine eigene Vision fehlt: Überall dabei
Während der langen Zeit der Verhandlungen um den EG- Beitritt Spaniens baute ein Großteil der Spanier eine verständliche Parallelität auf zwischen der Zugehörigkeit zur EG und dem Übergang zu einem demokratischen System. Europa bedeutete politische Normalisierung. Der Wunsch, zu „Europa“ zu gehören, führte sogar so weit, sich in Institutionen einzugliedern, die in der Krise waren, wie die Nato, oder deren Bedeutung zweifelhaft war, wie die WEU. Es war ein Prozeß, der sich durch die übereilte Integration in Organisationen und Projekte – sowohl politische wie militärische – auszeichnete, ohne Debatte und Nachdenken über die Folgen.
Seit dem Beginn dieses Integrationsprogramms sind schon einige Jahre verstrichen, und dennoch dauert in der Mentalität und dem Vorgehen der spanischen politischen Klasse das Bedürfnis fort, sich unkritisch an ein abstraktes Europa im Wandel gebunden zu fühlen. Dabei spielt sie mehrere Karten zugleich – zu viele vermutlich – und macht keinerlei Anstalten, das spanische Volk an der Debatte über die Inhalte der europäischen Architektur zu beteiligen. Der Grund liegt vermutlich in der eigenen Unsicherheit, für welche der möglichen Richtungen sie sich entscheiden soll.
Die Haltung gegenüber den europäischen Sicherheitsinstitutionen reflektiert dies deutlich. Auf dem Papier wird die KSZE glühend als Integrationsrahmen verteidigt, wie auch die friedenserhaltenden Kräfte der UNO als Instrument einer zukünftigen kollektiven Sicherheit auf globaler Ebene. Gleichzeitig setzt man jedoch auf eine Stärkung der Nato und der WEU und schafft Schnelle Eingreiftruppen für offensive Aktionen. Auf viele Dinge gleichzeitig zu setzen heißt jedoch, keine Option wirklich zu entwickeln. Durch die Präsenz in Institutionen, die unterschiedliche oder entgegengesetzte Ziele verfolgen, wird hauptsächlich der Minderwertigkeitskomplex demonstriert, der während der Franco-Zeit erworben wurde.
Der Aufbau Europas kann jedoch nicht auf komplexbeladenen Staaten basieren, und um so weniger in Sachen Sicherheit. Um die Verpflichtungen aus der Charta von Paris und der Akte von Helsinki einzulösen, sind verantwortungsbewußte Regierungen nötig und Völker, die bereit sind, konsequentes Handeln zu fordern, sowohl von ihren Regierungen als auch von sich selbst. Die Herausforderung des spanischen Volkes und seiner Regierung in den nächsten Jahren besteht also darin, das, was auf dem Papier steht, auch in Realität umzusetzen.
Die Herausforderung geht jedoch nicht alleine Spanien an, denn das Dilemma hat kontinentale Reichweite. Es ist eine gemeinsame Angelegenheit, zu entscheiden, ob die europäische Sicherheit auf der traditionellen militärischen Maschinerie der Nato oder auf einem neuen Bild basieren soll, das die KSZE anbietet und das Entwicklung, Kooperation, Achtung der Unterschiede und der Menschenrechte, Abrüstung und Konfliktvermeidung beinhalten würde. Vicens Fisas
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen