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SpätleseFreundliche Brache

■ "Erfahrungen im Möglichkeitsraum. Psychoanalytische Wege zum verborgenen Selbst" von M. Masud R. Khan

Es gibt wenige Titel, die derart irreführend sind wie dieser der Aufsatzsammlung des Analytikers Khan: den erkenntnisleitenden Gedanken darf man guten Willens dem Klappentext entnehmen, nachdem man nicht gänzlich ohne Gewinn, aber doch mit geringer intellektueller und emotionaler Anteilnahme durch die Beiträge gewandert ist, die, Wanderdünen gleich, sanft und konturblaß die Schritte durch die Täler lenken. Die „psychoanalytischen Wege zum verborgenen Selbst“, welche der Autor beschreibt, beziehen sich weniger auf den Gang der psychoanalytischen Kur (durch Widerstände, Deutungen, Symptombildung und -auflösung) als auf deren Setting, das der Analytiker herstellen muß, um die Behandlung zu ermöglichen.

Khan besteht darauf, von der orthodoxen Praxis (der Enthaltsamkeit von praktischen Ratschlägen, der bedingungslosen Einhaltung der vereinbarten Zeiten, der strengen Neutralität des Analytikers) abzuweichen, wo die Patientin signalisiert, daß sie die normierten Möglichkeiten der orthodoxen psychoanalytischen Behandlung nicht nutzen kann, und er beschreibt die Wirksamkeit dieser Liberalisierung anhand diverser Fälle. Er wendet sich in seinen Erläuterungen nicht sprachlich (er enthält sich nahezu aller Fachtermini), aber inhaltlich vor allem an KollegInnen. Einige Bemerkungen zum Ich-Begriff bei Montaigne, Descartes und Rousseau leiten den Band ein und führen LeserInnen, die daraus die Entwicklung einer konsistenten Theorie, eines Konzepts, oder auch nur die Wiederaufnahme der Andeutungen am Schluß der unzusammenhängenden Aufsätze erwarten, endgültig in die Irre: Khan schließt mit Erwägungen zum „Brachliegen“, einem nach seiner Definition konfliktfreien Zustand des Ichs, in dem die Vergegenwärtigung des Selbst Platz nehmen soll. Die Deutung, daß eben jene Bemerkungen dieses Buch elegant rechtfertigen sollen (als semantischem Ausdruck freundlicher Brache), drängt sich unmittelbar auf.

M. Masud R. Khan: „Erfahrungen im Möglichkeitsraum. Psychoanalytische Wege zum verborgenen Selbst“. Aus dem Englischen von Elisabeth Vorspohl. Suhrkamp Verlag, geb., 323 Seiten.

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