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■ SpätleseBiographisches zu Hans Fallada

Das Leben des deutschen Schriftstellers Rudolf Ditzen, vor gut 100 Jahren geboren, Künstlername Hans Fallada, ist von einer Dramatik, die das Schreiben einer Biographie gleichermaßen leicht wie schwierig macht: die Stationen ihres Helden in Nervenkliniken und Gefängnissen, seine Alkohol- und Morphiumsucht, diverse bürgerliche Delikte wie ein Duell ohne Sekundanten, Rauschmittelbesitz und Unterschlagung, eine Anklage wegen Mordversuchs, seine wechselhafte Karriere als Erfolgsautor in der Weimarer Republik und zeitweise unerwünschter, zeitweise gerade erwünschter Autor 1933–45, seine beiden Ehen, die kurze Bürgermeisterszeit – all dies muß gewissermaßen mittels Sprache und Analyse zivilisiert werden, damit der Lebenslauf des Schriftstellers nicht zur Räuberpistole wird. Für alle, bei denen die verschiedenen Artikel, Fernsehsendungen und Veranstaltungen zur 100. Geburtstagsfeier unlängst weitergehendes Interesse ausgelöst haben, stellen wir die Fallada- Biographien hier kurz vor.

Hilfreich gerade bei der schokkierenden Materiallage ist natürlich ein theoretischer Zugriff: Jürgen Mantheys Rowohlt-Monographie, 1963 erschienen, beschreibt Falladas Leben vor allem als einen vergeblichen Versuch, den ödipalen Konflikt mit seinem Vater, dem Reichsgerichtsrat, zu überwinden. Mantheys Konzept hat trotz dieser Stringenz keine Verengung zur Folge, sondern dient gerade dazu, die Fülle von historischem und persönlichem Material sinnvoll zu organisieren. Im ganzen bestätigt die Monographie die Ansicht mancher Menschen, zu denen auch die Unterzeichnerin zählt, daß in Tat und Wahrheit das Niveau dessen, was man als geistige Arbeit anzuerkennen bereit ist, seit den siebziger Jahren ständig gesunken ist. Allenfalls der Sprachstil Mantheys, der Bindestrich-Kultur der akademischen sechziger Jahre verpflichtet, kann uns kein Vorbild sein. „Wir geben dem Anteil, den das Erotische an dieser Episode hat“, heißt es dort züchtig zu einem Jugenderlebnis, „auch nur deswegen nach, weil wir hier, wenn nicht eine vollkommene Wirklichkeits-Vorlage, so doch die Erlebnis-Anregung für eine Gefühls-Konstellation vermuten, die als Liebes-Schema in einigen Romanen Falladas wiederkehrt.“

Von Eigentümlichkeiten dieser Art aber abgesehen, ist Mantheys Buch, wie gesagt, von größter Kenntnis und Gründlichkeit. Für Manthey ist Fallada der verlorene, gescheiterte Sohn, der sein Leben lang den Konflikt mit dem übermächtigen Vater und der barbarischen preußischen Vatergesellschaft auf den falschen Terrains austrägt, und er begründet diese These sowohl am Werk als auch mit psychologischen Überlegungen zur Biographie, die fast immer überzeugen, niemals aber gesucht wirken. Lustig ist das letzte Kapitel seiner Studie, in dem (damals noch:) Genosse Manthey dem Nichtgenossen Fallada beizuspringen sucht, wo ein DDR-Forscher denselben, seiner ich-bezogenen, klein-bürgerlichen Tendenzen wegen, ver-urteilt: „Daß wir dazu [zu diesem Vorwurf der Kleinbürgerlichkeit gegen Fallada, E.S.] noch einmal auf psychoanalytische Erklärungen zurückkommen, ist kein Versuch, Subjektivität und Ich-Bezogenheit mit immanenten Deutungen zu Hilfe zu kommen. Im Gegenteil, eine individuelle Disposition soll sich als durchaus gesellschaftliche Angelegenheit zu erkennen geben und so vielleicht ein Licht auf Widersprüche werfen, die keine private Errungenschaft dieses Schriftstellers waren ...“

Ja, so war das damals, 1963: da hat man auch noch, ganz gelassen, Freuds gesammelte Werke (Studienausgabe) als Sekundärliteratur angegeben und sogar Lepenies' Studie „Melancholie und Gesellschaft“, 1969 erschienen, schon gelesen ... Mantheys Buch ist auch das einzige mir bekannte, das in seiner eigenen Bibliographie verzeichnet ist.

Bescheidener im theoretischen Anspruch, dabei mit größerem poetischem Aufwand – oft ohne erkennbaren Gewinn – verfährt Werner Liersch in „Hans Fallada. Sein großes, kleines Leben“, das in den siebziger Jahren in der DDR und Anfang der achtziger Jahre in Westdeutschland erschien; der Claassen Verlag hat gerade eine Neuausgabe herausgebracht. Liersch kann aufgrund der DDR- Archive interessantere Dokumente als Manthey präsentieren, ist hier allerdings (siehe unten) alles andere als vollständig. Er beschäftigt sich besonders mit Falladas „innerer Emigration“ in der Nazizeit, was wenig überraschend, aber sehr ergiebig ist. Auch Liersch ist dem Subjekt seiner Beschäftigung in freundlicher, aber niemals euphemistischer Loyalität verbunden.

Empfehlenswert schließlich ist der Band „Neues von Daheim und zu Haus. Erinnerungen an Hans Fallada“ nur dann, wenn man alles über Rudolf Ditzen in Erfahrung bringen will. Die Herausgeber haben mit allerlei Personen gesprochen, die Fallada gut, weniger gut oder doch eigentlich nur beinahe gekannt haben, und offenbar den Ehrgeiz verwirklicht, ihre Bemühungen um Hans Fallada, wie er von Freunden, Verwandten und entfernt Bekannten erinnert wird, ungekürzt an die Leser zu bringen. Andererseits ist gerade diesem Buch, das vergleichsweise familiär und harmlos daherkommt, der Hinweis zu verdanken, daß die Gestapo-Akte, aus welcher der Roman „Jeder stirbt für sich allein“ werden sollte, „gekürzt“ war. Fallada hat sein Auftragsbuch über den deutschen Widerstand im Faschismus in dem Glauben geschrieben, das Ehepaar Quangel, die Helden seines Buches, sei „aufrecht in den Tod“ gegangen. Die beiden haben sich aber nach ihrer Verhaftung gegenseitig beschuldigt. Dieses Detail berichtet Falladas langjährige Krankenschwester und Pflegerin Sophie Baumgarten: „Wenn er jetzt wüßte, daß sein ,Jeder stirbt für sich allein‘ auf einer falschen Dokumentenbasis stand – daß diese Typen ja in Wirklichkeit ganz anders waren. Daß man ihm die Akten gar nicht vollständig gegeben hat ... Also gut, daß er das nicht mehr erlebt hat.“ Baumgarten hielt es länger mit Fallada aus als andere Pflegerinnen, war schließlich mit dem Schwierigen befreundet – vielleicht, weil sie als Kern seines Wesens empfunden hat, was auch Manthey am stärksten beschäftigt: „Er ist immer unter einem Schuldgefühl gewesen...“

Jürgen Manthey: „Hans Fallada“. rororo-Monographie, 190 Seiten, 10,80 DM

Werner Liersch: „Hans Fallada. Sein großes, kleines Leben.“ Claassen, 420 Seiten, geb., 34 DM

Müller-Waldeck & Ulrich (Hrsg.): „Neues von Daheim und zu Haus. Erinnerungen an Hans Fallada“. Ullstein TB, 223 Seiten, 16,90 DM

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